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Singener Fastnacht: Wo der falsche Ton genau richtig ankommt…

“Bunt und schräg – so ist die Fastnacht. Die Farbe gab’s in Singen beim Umzug. Und das Schräge dominierte im Rathaus.

Das Bedürfnis nach Farbe ist groß. Seit Wochen verwandelt der winterliche Himmel den Alltag in ein graues Einerlei und allein deshalb tut am Donnerstagsnachmittag das bunte Treiben beim Fastnachtsumzug durch die Singener Innenstadt gut. Einige tausend Menschen säumten die knapp eineinhalbstündige Tour der Narren und ließen sich von Hästrägern, Fanfarenzügen, Narren- und Guggenmusikgruppen aufmuntern. Dabei hatten sich etliche Zuschauer ihrerseits mächtig ins Zeug gelegt. Mal ganz abgesehen von den originellen Verkleidungen, die an der heimischen Nähmaschine entstanden sein müssen, zeugten Haareinfärbungen oder Gesichtsmalereien von viel Kreativität.

Vielleicht lag’s an der zeitaufwändigen Vorbereitung, dass am Vormittag vergleichsweise wenige Narren unterwegs waren. Einzig beim Schuhhaus Wöhrle, wo die Idee der Straßenfastnacht ein letztes Asyl gefunden hat, herrschte dichtes Gedränge. Das Narren-Nest am Hohgarten zwischen Stadthalle und Rathaus dagegen füllte sich erst kurz vor dem alljährlichen Entmachtungsritual im Sitzungssaal der Rathauses.

Dabei ging es herrlich schräg zu. Zum Beispiel beim Gesang der SPD: Den Anfang machte Hans-Peter Storz und schon nach den ersten Tönen war klar, dass der Stadtrat gut beraten ist, wenn er in der Politik bleibt und nicht dauerhaft ins Gesangsfach wechselt. Wobei man ihm in gewisser Weise Unrecht tut: Nach ihm erhob seine Kollegin Regina Brütsch die Stimme und beim Wettbewerb um die Referenz an die Atonalität schlug sie ihren Kollegen mit Bravour. Inhaltlich ging es bei den Liedern übrigens um den problematischen Abriss des Contis, das möglicherweise von allein in sich zusammenfällt, wenn der Gemeinderat sich jemals zu einem gemeinschaftlichen Chorkonzert vor der Ruine entscheiden sollte…

Das närrische Volk im Saal und auf der Galerie war damit in seiner alefänzigen Erwartungshaltung bestens bedient – so sehr, dass sich nach dem SPD-Auftritt ein paar Stimmen erhoben und von der Fraktion der Neuen Linie erbaten, doch bitte nicht auch noch zu singen. Die Gruppe zeigte sich gnädig und sorgte stattdessen unter Leitung von Stadtrat Dirk Oehle mit einem amüsanten Parcours für den Poppele durch die verschiedenen Baustellen Singens für einen Schnellkurs über das aktuelle Hauptthema in der Stadt. Wie sehr die FDP das Ohr am Volk hat, zeigte Kirsten Brößke: Sie leitete ihren Beitrag vor den Narren mit der Bemerkung ein, dass ihre Fraktion aufs Singen verzichte – und erntete prompt Applaus.

Ihrer begrenzten Fähigkeit in Sachen Tonlage bewusst sind sich offensichtlich die Freien Wähler. Mit Unterstützung des Narrenmusik-Trommlers und des dazu rhythmisch klatschenden Publikums beschränkten sie ihre Verteidigungsrede auf die rappende Form des Sprechgesangs. Den Mut zur närrischen Grenzüberschreitung, die niemand weh tut, aber jedem Freude macht, zeigte schließlich noch die CDU. Inge Kley nutzte dabei ihre Altersfreiheit und schwärmte fern von jeder Art feministischer Korrektheit bei einem Tänzchen von der Möglichkeit der Stadt Singen zu einem offiziellen Freudenhaus, wenn denn erst die 50 000-Einwohner-Marke überschritten ist.

So närrisch sich die Räte aber auch gaben, eine Chance gegen Poppele-Zunftmeister Stephan Glunk und seine Mitstreiter hatte die politische Elite der Stadt nicht. Und auch Oberbürgermeister Bernd Häusler hatte trotz seiner Behauptung, das Conti nur wegen der Narren stehengelassen zu haben, nichts gegen die akklamatorisch herbeigeführte Entmachtung ausrichten. Gut aus der Affäre beim närrischen Ritual der Zwangsbeurlaubung während der Hochzeit der Fastnacht zog sich Bürgermeisterin Ute Seifried: Sie verband ihr Einverständnis zur Entmachtung mit einem Zungenbrecher in ihrem Karlsruher Dialekt – Stephan Glunk meisterte ihn so lala unter dem Gelächter des Rathaussaals.

Quelle: Südkurier 08.02.2018 von Torsten Lucht“

2/8/2018

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