Der folgende Beitrag über die Fasnet in Singen wurde nach dem 170 Seiten zählenden Manuskript von Chronist Hans Maier (1901 – 1975) durch den ehemaligen Archivar der Stadt Singen, Dr. Herbert Berner, 1959 zusammengestellt.
Hrsg: Verein für Geschichte des Hegaus e.V. (Hohentwiel)
Alles, was wir vom Singener Fasnetbrauchtum vor dem Jahre 1860 wissen, beruht fast ausschließlich auf Berichten alter Leute zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Ort Singen rühmt sich einer uralten ununterbrochenen Geschichte. Wenn auch mancherlei Umstände die Erringung städtischer Gerechtsame in früheren Jahrhunderten verhinderten, so war Singen doch immer ein bedeutendes Dorf, Sitz einer Herrschaft und seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts Marktplatz. Die dörfliche Verwaltung war wie andernorts in Bezug auf die Schriftlichkeit und die Erhaltung des Schriftgutes nicht gerade vorbildlich4). So sind Nachweise heimischen Brauchtums nur sehr schwer zu erlangen. Besonders ungünstig für dessen Erhaltung wirkte sich die überaus schnelle Entwicklung des Dorfes zu einer Industriestadt aus. Das begann mit der Eröffnung der Bahnlinie Waldshut — Konstanz 1863. Im Jahre 1887 ließ Julius Maggi hier nieder, 1895 folgte das Fittingwerk (Georg Fischer AG). Am 2. September 1899 wurde der „Marktflecken“ Singen zur Stadt erhoben. In diesen turbulenten Jahrzehnten, in denen sich das Dorf in eine Stadt verwandelte, in denen die „Fremden“ in nie versiegendem Strom in die Gemeinde zuwanderten, ging das angestammte dörfliche Brauchtum regelrecht unter. Man ließ sich vom Neuen völlig überfahren; schimpfte redlich über die immer zahlreicheren „Härgloffenä“, die man missmutig und verärgert da und dort das Heft in die Hand nehmen sah, aber man tat doch nichts, um das Singener Brauchtum zu erhalten und verkapselte sich 5 ). Den rauhen und knorrigen, innerlich aber gutmütigen und sehr empfindsamen Singener Bauern und wenigen Handwerkern hatte der bisherige Zustand genügt. Jeder wusste über jeden, über die gemeindlichen Angelegenheiten und Bräuche genau Bescheid und gab dies Wissen weiter, ohne dass Aufzeichnungen nötig erschienen. In diese festgefügte Welt der Alt-Singener brach nun plötzlich die neue Zeit herein, erfüllte die Bauern mit Misstrauen und Erbitterung, weckte in manchen auch gar bald den Geschäftssinn, der sie dann teilhaben ließ am wirtschaftlichen Aufblühen. Dabei wurde jedoch meistens das Bekenntnis zur dörflichen Herkunft aufgegeben und man verlor den Zusammenhang mit der Tradition 6).
Die fasnächtliche Überlieferung reicht etwa bis in die 1820er Jahre zurück. Es ist klar, dass man auch in Singen wie in den umliegenden Dörfern und Städten Fasnet feierte und in einfacherer Form übernahm, was einem dort gefiel. So mag der „Blätzlibuä“ oder Blätzlinarr vor 120 bis 150 Jahren in vereinfachter behelfsmäßiger Form nach Singen gekommen sein. Daneben trat bis 1880 in wenigen Exemplaren der „Hoorig Bär“ auf. Außer diesen beiden Figuren gab es noch die verschiedenartigsten phantastischen und meist derben Vermummungen, wobei es der Weiblichkeit genügte, in der fast gleichartigen Arbeitskleidung mit Kopftuch und einfacher Larve oder einem Stofflappen am Fasnettreiben teilzunehmen 7). Daraus entstanden dann viele Jahrzehnte später, etwa 1930, die „Rebwiiber“ – eine Besinnung auf das ursprüngliche natürliche Fasnetmachen im alten Singen. Im Übrigen beschränkte sich das öffentliche Fasnettreiben einschließlich der fasnächtlichen Tanzbelustigungen fast nur auf die drei Tage vom Fasnetsonntag bis -dienstag und in geringerem Umfange auf den „Schmutzigä Dunschdig“. Bei der Einholung des Narrenbaumes ging es oft nicht ohne beträchtlichen Alkoholkonsum ab; üblich waren der Sämann, Pflug und Egge. Der Narrenbaum wurde ursprünglich wahrscheinlich beim Kreuz und wohl erst etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Hohgarten vor der Sonne gesetzt. In den Wirtschaften wurde tüchtig das Tanzbein geschwungen, wo es bei derben Späßen und Hänseleien gelegentlich auch Händel gab 8). Wahrscheinlich fanden auch einfache Fasnetspiele statt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch sehr beliebt waren. Am Fasnachtsdienstagabend wurde ein Strohmann, vermutlich eine Nachbildung des Hoorige Bär, auf dem Hohgarten verbrannt und der Narrenbaum versteigert; am Aschermittwoch fand die „Usfegete“ mit einem Schneckenessen statt.
Vor rund 100 Jahren wogte eine Welle närrischer Begeisterung unter karnevalistischen Vorzeichen durch den ganzen Hegau, die auch das Dorf Singen nicht verschonte. Überall wurden Fasnetspiele und Umzüge inszeniert, wie die uns heute nicht ohne weiteres verständlichen humoristischen Anzeigen im Höhgauer Erzähler mitteilen. Eine solche Anzeige vom 5. III. 1859 10), die offenbar von dem Bierbrauer und Wirt Buchegger zum Deutschen Hof veranlaßt worden kündigt u. a an: „Auch in dem Marktflecken Singen sind für die Fastnacht ganz frische, gesunde und kräftige Narren angekommen, die sich alle Mühe geben werden der künftigen Stadt Singen Ehre zu machen“. Die von einem „alten Narren“ unterschriebene Anzeige verweist dann auf den Empfang der „werthen Gäste“ am noch gar nicht existierenden Bahnhof. Diese Anspielungen auf die künftige „Stadt“ Singen sind ein beliebtes, immer wiederkehrendes Thema in den folgenden Jahrzehnten.
Wesentlich wichtiger für die Geschichte der Narrenzunft Poppele ist eine große Anzeige vom „Schmutzigä Dunschdig“ am 16. Februar 1860 11), die wie folgt lautet:
Kund und jedermänniglich zu wissen, daß die junge Narrengesellschaft zu Singen am Montag, den 20. des Pritschenmonats die Hochzeit ihrer in fünfundfünfzigjähriger Zurückgezogenheit verwittweten und wieder pudelnärrisch gewordenen Narrenmutter feiert.
Programm.
Nachdem die Trauung in der alle Narren seligmachenden Weise geschehen, bewegt sich der Festzug um 2 Uhr in folgender Ordnung:
Abends 6 Uhr großer Ball mit Illumination, Feuerwerk und Beleuchtung des neuen Bahnhofes und der Kornhalle mit Gas 12).
Erst 1862 finden wir die nächsten Nachrichten im Höhgauer Erzähler 13) durch ein „Gründungsprogramm“. Die 1860 ins Leben gerufene „Junge Narrengesellschaft“ wurde nun in „Narronia Singen“ umgetauft. In der am Schmutzigen Donnerstag 1862 erschienenen Anzeige gibt dann die „frischgebackene Gesellschaft“ das Fasnetprogramm 1862 bekannt, wonach am Montag, den 3. März in lebenden und toten Bildern dargestellt wurden:
„Die höchst mörderischen und blutigen Heldenthaten des krähwinkler Leib-Grenadier Badtahlions, welches von obiger Gesellschaft zur Rettung der Hausgötter der neu gegründeten Stadt Singen, die da sind, als: Bahnhof, Kornhalle, Amtssitz, Kreisgericht Oberzollamt, Provinzial- und Stadttheater usw. usw. usw. usw., gegenüber der großdeutschen in der Umgebung lagernden Ranzengarde zur Hülfe gerufen worden.
In aller Früh um 9 Uhr verkünden scharfgeladene Böllerschüsse den Bewohnern der Stadt Singen, daß die Hülfe nahe ist.
Das Bataillon Krähwinkler rückt in bester Gesundheit und voller Rüstung am l‘Hotel de Kraköhleisen vorbei, in die Stadt ein und zwar in folgender Ordnung:
1) 4 Sappeurs
2) 4 Trommler
3) Die Regimentsmusik, 40 Köpfe und 79 Füße stark.
31/4) Der Bataillons-Narr. 4) Der Major von Hasenfusinski.
5) Das Bataillon in 4 Abtheil, zu je 100 Mann.
6) 2 Batterien Artillerie.
7) Bagage-Wagen, Feldscherrer, Profoß, Marketenderinnen und andere mehr.
Das Bataillon wird am Gasthaus zum „Schutzgeist der Hausgötter Singens“ vom hochweisen Comitee der Narronia empfangen und durch eine feurige Anrede des Präsidenten bewillkommt, und sodann im freien Bivouac bewirthet, um dasselbe zu stärken zum nahenden Kampfe. Wenn der Kampf beginnt, kann noch nicht angezeigt werden, denn es hängt von dem Eintreffen der feindlichen Ranzengarde ab. Nach dem Kampf halten die überlebenden einen Ball, die Gefallenen dagegen werden bei der bengalischen Beleuchtung der Stadt verwendet. Das Comitee. NB. Neugierige Zuschauer werden gebeten, sich bei der Schlacht in ehrerbietiger Ferne zu halten, weil das Bataillon mit verbesserten Mordwaffen ausgerüstet ist, und in seiner Kampfeswut weder Feind noch Freund schonen würde.“
Für die Jahre 1863 – 1885 finden wir in den Narrenbüchern keinerlei Aufzeichnungen. Lediglich der Höhgauer Erzähler verrät uns durch wenige Inserate etwas von dem fasnächtlichen Leben und Treiben, das durch die bereits geschilderte Entwicklung vom Dorf zur Stadt immer mehr ein karnevalistisches Gepräge erhielt. So ließ der Narrenrat 1863 14) am Fasnachtssonntag „im Hauptknodenpunkt Süddeutschlands die Frankforter Messe“ eröffnen, eine bis in die Gegenwart gerne als „Närrischer Jahrmarkt“ beibehaltene beliebte Veranstaltung. Am Fasnetsonntag 1867 feierte Prinz Karneval von Pottey seine Hochzeit mit dem „adelichen und doch bürgerlichen Frei-Fräulein Kunigunde von Narronien in Singen“; bei diesem Fest stieg im Glanze des bengalischen Feuers „der Geist Poppelis von Hohenkrähen auf, lächelt über die stattgefundene Rasse- und Nationalitätenmischung wehmütig und verschwindet dann wieder“ 15). – Von den nächsten Jahren fehlt jede Kunde, doch fanden den mündlichen Überlieferungen nach außer den Kriegsjahren 1870/71 jedes Jahr kleinere Fasnet-Spiele und Umzüge statt 16); 1878 kam dann sogar die erste Singener Narrenzeitung des Lesevereins heraus.
Im Jahre 1885 nahm die „Narronia“ den Namen „Poppeleverein“ an 17); der Name wechselte allerdings noch mehrfach, doch blieb die Bezeichnung „Poppele“. Man weiß nicht, welche Gründe die Umtaufe veranlaßten. Es steht jedoch fest, daß der überwiegende Teil des damaligen Narrenrates aus Alt-Singenern bestand, denen der Burggeist und seine Streiche vertraut gewesen sind. Von da an berichten uns die Narrenbücher Jahr für Jahr von den fasnächtlichen Veranstaltungen.
1885: Festumzug am Fasnetdienstag mit den Haupt-Vorstellungen:
Aus dem Reiche der Osmanen
Aus dem Reiche der Pharaonen
Unsere schwarzen Landsleute aus Kamerun.
1886: Die Leipziger Messe.
1887: Das Krähwinkler Leibgrenadier Bataillon (vgl. 1862).
1888: Poppele-Hochzeit.
1889: öffentliche Fasnacht verboten.
1890: Kamerun (Spiel mit Umzug).
1892: Internationale Ausstellung auf dem Hohgarten (u. a. „Zwiebeln, Lauch, und Peterli und viel anderes exotisches Gemüse von der Höri, einschl. Knoblauch von Randegg und Gailingen, die berühmten Duchtlinger Kartoffeln, Hilzinger Rindvieh, ein Prachtexemplar von einem Hohentwieler Esel. .., nicht zu vergessen die Huusemär Groppä, die blutgierigen Raubfische aus der oberen Aach“. Besondere Anziehungspunkte waren die damaligen 8 Singener Brauereien!) 18).
1893: Der Brand in Wuzelweiher, gespielt auf der Offwiese.
1894: Närrischer Jahrmarkt um Kirche, Hohgarten und Hauptstraße. Die sog. „Colosseum-Truppe Singen“, eine Laienspielgruppe, führte als ungarische Damenkapelle mehrere närrische Konzerte im Colosseum (heutiger Opel-Dienst in der Scheffelstraße 17) und in der Kronenhalle (auf dem Kinderspielplatz der heutigen Krone, abgerissen) durch; der Poppele-Verein gab seine erste Narrenzeitung heraus und erstmals ertönte der — alte — Poppelemarsch.
1895: Russische Bauernhochzeit.
1896: Buffalo Bill im Wilden Westen, ein großangelegtes Spiel auf den damals unbebauten Ackerfeldern zwischen der heutigen Ekkehard-, Schwarzwald-, Erzberger- und Thurgauerstraße; nach den Eindrücken einer Reise zur Weltausstellung in Chicago, die Narrenvater Steinmetzmeister Alfred Matt unternommen hatte.
1897: Der französische Krieg (Parodie).
1898: Großes internationales Schützenfest (Spiel und Umzug).
1899: Internationales Wettrennen (auf dem Gelände der heutigen Ekkehardschule).
1900: Ein pudelnärrischer Umzug und pudelnärrische Vorführungen (u. a. Entwicklung des Radfahrsports, Freiheits- und Sensenmänner von 1848/49; Gefangennahme Napoleons III.; Verbringung des Hauptmanns Dreyfus auf die Teufelsinsel; Unsere Kolonien in Afrika und Kiautschou, Zigeuner mit Gendarmen; Burenkrieg u.a.m)
1901: Geschichte des Hohentwiels vom 11. Jahrhundert bis zur Zerstörung 1800; historischer Umzug (Fastnachtsdienstag), Defizit.
1902: Keine Aufführung.
1903: Burenkrieg (Hauptschlacht auf Straße zw. Rathaus und Anwesen Dr. Stadler (z. Zt. Landeszentralbank, Erzbergerstraße 10).
1904: Im Jahre 2000 (Umzug mit 26 Gruppen und Spiel). U. a.: elektrische Schnellbahn nach dem Mond; Trachten im Jahre 2000; neueste Flugmaschine; modernes Zuchthaus,- weibliche Reiterei; Wettermacher.
1905-09: Keine Aufführungen (Hohentwiel-Festspiele) 19).
1910: Münchner Oktoberfest (Feier des 50jährigen Jubiläums des Poppele-Narrenvereins).
1911-13: Keine Aufführungen.
1914: Einzug des Prinzen zu Wied als König von Albanien in Durazzo (Spiel u. Umzug).
Aus dieser Aufstellung geht deutlich hervor, daß das Fasnachtsspiel, das im „Jahrmarkt“ eine besondere Ausprägung fand, das eigentlich Wesensgemäße und Herkömmliche der Singener Fasnet ist. Etwa seit 1890 treten als karnevalistisches Element immer mehr die großen Umzüge in den Vordergrund. Davon zu unterscheiden sind die im ganzen 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert üblichen Aufzüge zu den Narrenversammlungen. Die Teilnehmer einer solchen Narrenzusammenkunft trafen sich zunächst etwa im Deutschen Hof, formierten dann einen kleinen Umzug mit Lampions, Musik und fasnächtlicher Gewandung und zogen mit Getöse vielleicht in die „Sonne“, wo die vorgesehene Narrenversammlung stattfinden sollte. Da es in den Wochen vor der Fasnet viele Narrenversammlungen gab, weckten diese vorfasnächtlichen abendlichen Umzüge die närrische Stimmung in der ganzen Stadt. Eine weitere Sonderform stellt der Hemdglonkerumzug dar, der erstmals 1904 am Abend des schmutzigen Donnerstag nach Einbruch der Dunkelheit mit Musik durch die Straße zog; der Brauch ist von den Konstanzern entlehnt und wird wie dort unter ohrenbetäubendem Krach mit Fackeln, Laternen, Lampions und neuerdings mit beleuchteten Transparenten durchgeführt. — Ebenfalls sind schon seit sehr langer Zeit am Fasnachts-Dienstag Kinderumzüge üblich; die kleinen Teilnehmer werden anschließend mit Brot und Wurst beschenkt.
Es wurde bereits auf die Gefahren hingewiesen, die dem dörflichen Brauchtum durch die ungewöhnlich rasche Entwicklung zur Stadt und die Überfremdung der einheimischen Bevölkerung drohte. Aber es lag auch im Zug der Zeit, etwa der sog. Gründerjahre nach dem siebziger Krieg, das herkömmliche Alte abzutun, um unbeschwert dem „Fortschritt“ dienen zu können 20). So drangen immer mehr karnevalistische Elemente in die Singener Fasnet ein. Statt eines Narrenvaters gab es nun auf einmal (vorübergehend) einen „Präsidenten“, der Narrenrat verwandelte sich in einen Elferrat, man trug Karnevalsmützen, ließ den Prinzen Carneval regieren und verlegte die Straßenfasnet mehr und mehr in die Säle mit großen Theater-Maskenbällen. Mit dem Aufgeben oder zumindest dem Aufweichen des heimischen Fasnetsbrauchtums verlor die Narrenvereinigung ihre Legitimierung als Sachwalter eben dieser Fasnet und erlebte nun das Auf und Ab, das in jeder Vereinsgeschichte zu finden ist und das man dort – wenigstens in dem Ausmaß nicht – vergebens sucht, wo die Tradition lebendig erhalten wird.
Charakteristisch hierfür ist, daß schon kurz nach 1900, als die Stadt eben 4000 bis 6000 Einwohner zählte, neue Narrenvereinigungen entstanden, so 1908 die „Neu-Böhringer“ und 1909 die Karnevalsgesellschaft „Die Sumpfhühner“. In deren Veröffentlichungen wurde fast nur von Carneval, Fasching, Bütte und Büttenreden, Narhallamarsch usw. geredet. Nach dem ersten Weltkrieg wechselten einige der Sumpfhühner-Mitglieder zum „Poppele“ hinüber und rückten dort diese Tendenzen stark in den Vordergrund. Leider verschwanden in diesen Jahren nicht nur die meisten alten Fasnetbräuche und -figuren, sondern auch wichtige Unterlagen der Narrenvereinigung, so daß es in den zwanziger und dreißiger Jahren sehr schwer fiel, wieder zum Ursprünglichen vorzustoßen.
Der erste Weltkrieg bereitete allem närrischen Denken und Treiben ein Ende. Auch nach dem Kriege dauerte es noch Jahre, bis wieder größere Fasnachtsveranstaltungen stattfinden konnten; nur Vorführungen „historischer“ Bräuche waren erlaubt. Dazu gehörte unbestritten das Narrenbaumsetzen, das bereits 1919 wieder auf dem Hohgarten durchgeführt werden konnte. 1921 wagte man schon die Aufführung des kleinen Spieles „Dollarfinanzierung“, doch verhinderte die Inflation in den folgenden Jahren ausgedehntere Unternehmungen 21). Im Jahre 1924 erst kam die Fasnet wieder so recht in Gang trotz immer noch bestehender polizeilicher Einschränkungen; die Singener Polizei ließ sich davon überzeugen, daß der geplante (verbotene) Umzug „Auszug aus der Türkei“ kein „Umzug“, sondern ein „Auszug“ sei. 1925 fand der erste Hemdglonkerumzug nach dem Kriege statt.
Von gewisser Bedeutung für die Poppele-Narrengesellschaft war das Jahr 1926, in dem unter Führung des neuen Vorsitzenden Karl Weiß ein besserer Zug in den Verein kam, die Statuten neu gefaßt, die Narrenzeitung „Der Poppele“ begründet 22) und am 11.11. vormittags im „Gambrinus“ in würdig-närrischer Weise die Fasnet eröffnet wurde. Leider bremsten die schweren wirtschaftlichen Krisenjahre die Betriebsamkeit und den Eifer der Poppele, die immer noch auf Unverständnis und böse Kritik bei der Einwohnerschaft stießen. Es war außerordentlich schwer, die Fasnet aufzuwerten und durchzusetzen. Andererseits fehlte es weitgehend an den wurzelechten Grundlagen einer echten Heimatfasnet, so daß nichts mehr drinnen lag, das die alten und neuen Singener packen und fesseln konnte. Nun spürte man plötzlich, daß etwas Schönes aufgegeben worden war und daß man wieder zur alten Dorffasnet zurückkehren müsse. Viele damals junge Altsingener begannen zu fragen und zu forschen. Das Ringen um die Wiedereinführung der jahrzehntelang vergessen gewesenen Singener Fasnetfiguren des „Hoorig Bär“ und des Hänsele war das zentrale Thema der dreißiger und vierziger Jahre.
An dem vom Landesverein Bad. Heimat angeregten Narrentreffen der historischen Narrenzünfte am 28. Januar 1928 in Freiburg i. Br. nahmen von Singen die Elfer Weiß und Murst teil. Ihre Eindrücke und Berichte trugen wesentlich zur Besinnung auf das Eigenständige und zu verstärkten Nachforschungen über die altsingener Fasnet bei, um die Anerkennung als historische Narrenvereinigung und damit die Aufnahme in die Vereinigung der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte zu erreichen. Doch dauerte es noch zwei Jahre, bis der Narrenverein Poppele so weit gekräftigt war, um diese Gedanken in die Tat umsetzen zu können. Eine Narrensitzung vom 31. Januar 1930 darf dank der Initiative von Josef Waibel und Peter Oexle als die Geburtsstunde der neuen Altsingener Fasnet angesehen werden. Von diesem Zeitpunkt nahm der Poppele-Verein und damit die Fasnet in Singen einen unaufhaltsamen Aufstieg.
Die wichtigsten Stationen dieses Weges waren zunächst die Fasnet von 1930, die mit großen Umzügen und Veranstaltungen einen Umschwung der öffentlichen Meinung zugunsten der Fasnet bewirkte; leider verhinderte die ungewöhnliche Wirtschaftskrise in den nächsten zwei Jahren größere Unternehmungen. Immerhin wurde 1932 auf Anregung von Architekt Ludwig Ehrlich ein „ordentliches, Jahrhunderte überdauerndes Narrenloch“ vermessen und ausbetoniert (vor der Sonne) sowie das Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stocken besucht. Direktor Schuster vom Gas- und Elektrizitätswerk Singen gab die Zusicherung, daß seine Leute jedes Jahr kostenlos den Narrenbaum aufstellen werden. Am 4./5. Februar 1933 nahm die Poppele- Narrengesellschaft beim Oberbadischen Narrentreffen in Stockach teil und führte dort erstmals das eigens hierfür verfaßte Poppele-Spiel von Dr. Dycke in Worblingen auf (Poppele und die Eierfrau und drei weitere Streiche) 22a); Ludwig Ehrlich hatte ein stilgerechtes Poppele-Kostüm entworfen. Die Singener hinterließen einen guten Eindruck. Auch in der Heimatstadt fanden die Spiele begeisterten Anklang.
In der Generalversammlung der „Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte“ am 29.10.1933 zu Möhringen wurde die damals über 70 Jahre bestehende „Narrengesellschaft Poppele e. V. 1862″ 23) unter Bürgschaft und gleichzeitiger Patenschaft des „Hohen Grobgünstigen Narrengerichts Stockach“ einstimmig in die Vereinigung aufgenommen; der Poppeleverein änderte nun seinen Namen in „Narrenzunft Poppele e. V. 1862, Singen (Hohentwiel)“.
Der erste Zunftmeister der nun als Brauchtumsträger anerkannten Poppele-Vereinigung war der um die Sache der Fasnet hochverdiente Josef Waibel; der Zunftnarrenrat gliederte sich neu in die vier Gruppen des Elferrats (später Großrat) mit den Narreneltern an der Spitze, die Fasnetfiguren (Poppele mit Page, Burgfrau, Burgfräulein, Hofpoet, Hofnarr und 2 Fähnrichen), dem Beirat mit dem Zunftmeister zugleich 1. Vorsitzenden der Zunft und der Narrenpolizei24). Ernsthaft betrieb man nun die Wiedererweckung der Altsingener Fasnet. Narrenschreiber Hans Maier legte im Januar 1934 eine Denkschrift vor, in der er sich kritisch mit dem angeblich historischen Kostüm des „Singener Schellenhansel“ auseinandersetzte, der neben dem „Hoorig Bär“ mit Treiber zu einer Ausstellung über das badische Fasnetbrauchtum im Karlsruher Landesgewerbeamt (Januar/Februar 1934) geschickt wurde. Dieser harlekinartige Schellenhansel war eine Hanselefigur, die sich etwa von 1880—1900 bei begüterten Singener Bürgern einer gewissen Beliebtheit erfreute. Das „feine“ Kostüm war aus weißem Seidenstoff mit breiten, roten oder grünen Streifen und vielen Zacken mit Schellchen gefertigt und war in den Jahren nach 1934 vereinzelt noch einmal zu sehen. Es entsprach jedoch nicht dem alten heimischen Blätzlibuä. Auch der „Hoorig Bär“ mit seinem echten Bärenkopf entsprach nicht der ursprünglichen Figur, die nur mit Stroh bekleidet war. Es sollte noch 15 Jahre dauern, bis diese beiden Altsingener Figuren des „Hoorig Bär“ und „Blätzlibuä“ Auferstehung feiern konnten.
Im Jahre 1934 wurde ein Ordensdekret erlassen; der Entwurf des Poppele-Ordens in 3 Klassen (Bronze, Silber, Gold) stammt von Ludwig Ehrlich. Zum ersten Mal ist 1935 von den „Zunftgesellen“ die Rede, der Garde der jungen Aktiven — eine bereits ehrenvolle Bezeichnung für die rechten Narren. Am 2./3. Februar 1935 beteiligten sich die Singener mit 30 „Poppeles“ als eine der kleinsten Zünfte am großen Narrentreffen in Offenburg. Nach dem Hemdglonkerumzug am Abend des schmutzigen Donnerstag mit rund 3000 Teilnehmern wurde zum ersten Mal der originale Singener Blätzlibuä im Umzug am Fasnet-Sonntag der Öffentlichkeit gezeigt25). 1936 besuchte eine kleine Abordnung das Narrentreffen in Oberndorf a. N. (1./2.02.1936); dieses Erlebnis wirkte anregend und belebend. In diesem Jahr trat zum ersten Mal eine Rebwiebergruppe auf. Ein großer Gewinn für die heimische Fasnet war die erstmals 1937 gewährte offizielle Unterstützung durch die Stadtverwaltung. – Nachfolger des 1937 zurückgetretenen Zunftmeisters Waibel wurde Kaufmann Willy Kornmayer. Wieder beteiligte sich die Zunft am Narrentreffen in Überlingen (5./6.2.1938), diesmal mit über 60 Personen. Am schmutzigen Donnerstag 1938 fand zum ersten Mal die Rathauserstürmung statt 26), nachdem die Narreneltern beim Narrenbaumumzug 1 1/2 Zentner Bonbons ausgeworfen hatten. Etwa 12 000 Zuschauer säumten am Fasnet-Sonntag die Straßen, um den riesigen Umzug mit annähernd 2000 Teilnehmern zu bestaunen, in dem die Singener sich selbst spielten. Für lange Jahre zum letzten Mal wurde 1939 Fasnet gefeiert und der erste Zunftball27) in der Scheffelhalle abgehalten. – Der zweite Weltkrieg und die ersten Nachkriegsjahre unterbrachen jäh Poppeles Herrschaft.
Nach dem Kriege sah die Welt ganz anders aus. Auch in Singen und in der Poppelezunft hatte sich vieles geändert. Eine ganze Anzahl der alten Kämpen lebte nicht mehr, und viele junge, frohe „Poppele“ waren draußen im Felde geblieben. Es war alles so hoffnungs- und trostlos in jenen ersten Nachkriegsjahren, daß man es nicht wagte, auch nur die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß es wieder einmal eine schöne, richtige, unbeschwerte und frohe Poppelefasnet geben würde. Nur im vertrauten Kreis tauschte man wehmütige und sehnsuchtsvolle Erinnerungen über die lustigen Fasnetjahre vor dem Kriege aus und hoffte trotz allem, daß es noch einmal so schön werden sollte.
Da traf beim letzten Vorkriegs-Zunftmeister Willy Kornmayer Mitte Juni 1947 ein Rundschreiben der „Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte“ ein mit der Aufforderung, so bald wie möglich die Zunft neu zu gründen, damit auch die „Vereinigung“ wieder neu erstehen könne. Es war so kurz nach dem Kriege gewagt, mit einem solchen Ansinnen an die Öffentlichkeit zu treten; überall stieß man auf eisige, empörte oder vernichtende Ablehnung, obwohl durch das Trübsalblasen die Dinge nicht besser gemacht und vor allem den Kindern die harmlosen, unvergeßlichen Fasnetfreuden vorenhalten wurden. Aber das närrische Blut ließ sich nicht unterdrücken, gerade bei den z. T. eben erst aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Soldaten. Und so regte es sich zu Anfang 1948 überall wieder fasnächtlich in alemannischen Landen. Trotz mancherlei Unverständnis und Abweisung gelang es, 1948 wenigstens mit einer Handvoll mutiger Narren das Narrenbaumsetzen durchzuführen 28) und das Poppele-Inventar in der Narrenbeize zur „Sonne“ sicherzustellen29). Die Jugend war mit großer Begeisterung dabei, obwohl oder gerade weil sie kaum in den düsteren Jahren eine solche Freude gekannt und noch nie eine Fasnet erlebt hatte. Bezeichnend war es, daß sich nach dieser einzigen Veranstaltung eine ganze Reihe junger Kriegsteilnehmer zur aktiven Mitwirkung in der Poppele-Zunft meldeten 30). Nun war die Neugründung des Vereins nicht mehr aufzuhalten; die Genehmigung wurde am 13. Januar 1949 erteilt, die Neugründung selbst erfolgte am 07.12.1948 im „Deutschen Hof“. Erster Nachkriegszunftmeister wurde Hans Maier31).
Das Jahr 1949 war für die Singener Fasnet von größter Bedeutung: in ihm wurden der „Hoorig Bär“ und der Singener Hänsele = Blätzlibuä nach zwanzigjährigen Bemühungen wieder eingeführt und damit die Beziehung zur Altsingener Fasnet in letzter Konsequenz sichtbar hergestellt 32). Was heute so selbstverständlich und natürlich gewachsen erscheint, bedurfte vor wenig mehr als 10 Jahren zu seiner Verwirklichung noch vieler Mühen und Überredungen 33).
Schließlich setzten sich die Anhänger der angestammten Brauchtumsfiguren in einer denkwürdigen Sitzung am 11. Juli 1949 durch, nicht zuletzt im Hinblick auf das Narrentreffen in Radolfzell am 21./22. Januar 1950. Bei diesem großen Fest der schwäbisch-alemannischen Narrenvereinigung trat die neu eingekleidete Poppele-Zunft zum erstenmal mit 3 Hoorige Bären und 8 Singener Hänsele mit durchschlagendem Erfolg vor ein kritisches Publikum34). „Es ist sehr erfreulich“, so lesen wir in dem damals erschienenen Büchlein über die alemannisch-schwäbische Fasnet von Prof. Dr. Künzig, „daß Singen trotz seiner industriellen Entwicklung zu dieser urtümlichen Gestalt zurückgekehrt ist.“
Mit einem Schlag war nun die Poppelezunft, die mit der starken Poppelemusik 35), Fahne, Herolden, Narrenpolizei, einer stattlichen Zahl von Zunftgesellen in Bauernkitteln, mit Poppele und Eierweib, Hohem Rat, Hoorigen Bären und Blätzlihansel auftrat, zu den großen und besonders beachteten Zünften der schwäbisch-alemannischen Narrenvereinigung aufgerückt. Es gelang auch, die Finanzen trotz der enormen Anschaffungen und der fasnächtlichen Veranstaltungen in Singen (Dekoration der Scheffelhalle) bis 1950 in Ordnung zu halten36). So stand die Singener Fasnet auf festen Füßen wie nie zuvor. Eine solide traditionsgebundene Grundlage mit klaren Richtlinien war geschaffen. Ende 1950 trat Zunftmeister Hans Maier aus gesundheitliehen Gründen zurück. Für ein Jahr übernahm der bisherige Zunftkanzler 37) Willi Kornmayer das Amt des Zunftmeisters. Am 13./14.01.1951 beteiligte sich die Poppele-Zunft geschlossen am 600jährigen Jubiläum des seit langem befreundeten Hohen Grobgünstigen Narrengerichts zu Stockach. Im Oktober 1951 wurde Architekt Josef Lietz zum Zunftmeister gewählt. Eine stattliche Gruppe besuchte am 2./3. Februar 1952 das schwäbisch-alemannische Narrentreffen in Rottenburg a. N. Zu erwähnen ist ferner, daß seit 1949 die Stadtübernahme durch die Narren am Schmutzigen Donnerstag immer mehr als ein großes öffentliches Spiel gestaltet und aufgeführt wurde, an dem sich Tausende von Zuschauern einfinden 38). Nach dem Rücktritt von Architekt Lietz kurz nach der Fasnet 1952 übernahm der neue Zunftkanzler Georg Strigel (bis 1953) interimistisch auch die Leitung der Zunft39), bis am 31. Oktober 1952 Dipl.-Kaufmann Hermann Ruch die Leitung der Zunft übernahm40). Damit begann eine neue Aera nicht nur in der Geschichte der Poppele, sondern der Singener Fasnet schlechthin 41), an der auch die Mitglieder des Narrengroßrates, des Jungrates und des geschäftsführenden Narrenrates (Vorstand) entschiedenen Anteil haben. Ihnen gelang es, auf neuen Grundlagen aus der kleinen Poppelezunft in wenigen Jahren eine der größten und lebendigsten Narrenzünfte des gesamten schwäbisch-alemannischen Raumes zu machen.
Aus dieser jüngsten Vergangenheit seien als besondere Ereignisse die Kuratoriumssitzung vom 07.01.1953 42) genannt, in der die neue Zunftverfassung sowie die Ehrengerichtsordnung und Ordenskomment bekanntgegeben und gebilligt wurden. Am 24./25.01.1953 beteiligte sich die Zunft am Narrentreffen in Bonndorf43); inzwischen hatte die Zunft 15 „Hoorig Bärä“, 40 „Blätzlibuä“ und etwa 80 Rebwieber. Der riesengroße Umzug mit rund 60 Wagen und Gruppen und 8 Musikkapellen „Auf einem andern Stern“ am Fasnetsonntag (15.02.1953) lockte trotz beißender Kälte über 15 000 Zuschauer herbei. Am 6./7. II. 1954 nahm die gesamte aktive Zunft am Narrentreffen in Donaueschingen und eine große Abordnung am Narrentreffen in Markdorf (14.02.1954) teil. Mit Urkunde vom 25.02.1954 stiftete Bürgermeister Otto L. Muser auf Aschermittwoch ein Wurstzipfelessen, das alljährlich zu wiederholen ist44). Anstelle eines Umzugs fand das närrische Fußballspiel „Stadtrat gegen Presse“ am Fasnetmontag (28.02.1954) starken Anklang bei den Tausenden von Zuschauern. Trotz Schnee und Kälte begeisterte der Umzug am Fasnetsonntag (20.02.1955) „D´Sunn schiint scho“ mit 57 Wagengruppen wohl annähernd 30 000 – 35 000 Zuschauer; außer allen Singener Narrengemeinden nahmen auch die Rehbockzunft Volkertshausen mit der Jägermusik, die stattliche Gerstensackzunft Gottmadingen, die Narrenzünfte Engen, Radolfzell und die Klötzlezunft Zimmerholz, die Narrenvereine Rattlingen (Rielasingen) und Hardtlingen (Worblingen) mit Musikkapellen und dem Fanfarenzug der Schneckenburg-Konstanz teil.
Für 1956 ist die Teilnahme am Narrentreffen Riedlingen mit 260 „Poppele“ (28./29.01.) und die Aufstellung eines Fanfarenzuges unter Leitung von Helmut Rinderle hervorzuheben, der schon nach kurzer Zeit bei sämtlichen öffentlichen Auftritten der Zunft eine gewichtige Rolle spielte. Die strenge Kälte beeinträchtigte die Straßenfasnet außerordentlich, der vorgesehene Jahrmarkt auf dem Hohgarten und der Kinderumzug mußten ausfallen. — Erstmals 1957 fanden in der Scheffelhalle mit größtem Erfolg die vierstündigen „Poppelespiele“ statt (Poppeles Narrenspiegel), die unter dem bewährten Poppele-Leitwort: „it z’lützel und it z’viel“ sicher von Walter Fröhlich über die Runden gesteuert wurden45). Auch in diesem Jahre wieder beteiligte sich die Poppelezunft an einem Narrentreffen in Schwenningen a. N. mit 250 Teilnehmern als die weitaus größte Zunft (16./17.02.1957). In der Ordenssitzung vom 27.02.1957 im Zunftlokal zur Sonne wurde in Anwesenheit des Hohen Grobgünstigen Narrengerichts zu Stockach von Narrenrichter Dandler die neue Zunftfahne feierlich eingeweiht. Die Eroberung des Rathauses am schmutzigen Donnerstag erfolgte in einer gewaltigen militärischen Aktion mit Sägemehlkanonen und Wasserwerfern. Am Fasnetsonntag begeisterte der närrische Jahrmarkt im Hohgarten über 15 000 frohe Menschen, ein echtes bodenständiges Fasnetspiel, wie es die Singener vor 100 Jahren schon liebten. – Schon seit mehreren Jahren hofften die Singener, daß auf Riedlingen das nächste — nur alle 4 Jahre stattfindende – Narrentreffen der Vereinigung der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte nach Singen gelegt werde. Die Entscheidung fiel in der Hauptversammlung der Vereinigung am 11./12. 01.1958 in Bräunlingen mit 34:7 Stimmen zugunsten von Singen aus und erweckte in der Heimatstadt große Freude. Die Zunft nahm am 02.02.1958 am Narrentreffen in Geisingen sowie am 9.02. an jenem in Volkertshausen teil. Der närrische Jahrmarkt wurde leider verregnet.
Die Fasnet 1959 stand unter dem Motto „Hebed mi suschd wörh z’wild“ und wickelte sich in gewohnter Weise glanz- und stimmungsvoll ab. Mit großem Aufgebot beteiligte sich die Zunft an der Bannerweihe des Hohen Grobgünstigen Narrengerichts zu Stocken (1.2. 1959). Zum dritten Mal nach 1945 wurde ein attraktiver närrischer Jahrmarkt auf dem Hohgarten gerüstet, der zu einem echten Volksfest wurde.
Großes Narrentreffen 1960
Bei der traditionellen Ordenssitzung am Mittwoch, 27.2.1957, im Zunftlokal ,,Sonne“ war die närrische Weihe der neuen, von Graphiker Robert Seiboth entworfenen Zunftfahne durch den Stockacher Narrenrichter Friedrich Dandler die Hauptattraktion; hierbei erklärte dieser, daß das Grobgünstige Narrengericht gerne das Narrentreffen 1960 der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte in Singen sähe. Dies entsprach durchaus den eigenen Vorstellungen, denn das 100jährige Jubiläum sollte im großen Rahmen gefeiert werden. 1958 erhielt die Poppele-Zunft bei der Hauptversammlung der Vereinigung in Bräunlingen (11./ 12. 1. 1958) gegen die Cannstatter Kübele-Zunft mit großer Mehrheit den Zuschlag.
Das große Narrentreffen fand am 6./7. 2. 1960 statt. Über 60 Zünfte mit 6700 Maskenträgern fanden sich ein. Prominentester Gast war Ministerpräsident Kurt Georg Kiesin-ger, der sich am Samstagabend in der überfüllten Scheffelhalle vor dem Hohen Grobgünstigen Narrengericht von Stocken verantworten mußte, danach zum Laufnarren geschlagen und von der Poppele-Zunft zum Ehrenzunftgesellen ernannt wurde. Am Sonntag brachten Bundesbahn (12 Sonderzüge mit 7 Vor- und Nachzügen) und Bundespost etwa 20.000 Gäste nach Singen. Die Polizei zählte rd. 8500 Personenautos, 171 Omnibusse und 268 Motorräder und Motorroller. Der Zunftmeisterempfang fand in den Räumen des Centralhotels ,Schweizer Hof“ statt (abgebrochen 1965). Etwa 60.000 Menschen sahen bei bitterer Kälte mit Temperaturen um – 16 Grad den über vierstündigen Umzug durch die ganze Innenstadt; an beiden Tagen schätzte man die Besucherzahl auf 90.000 – 100.000. Das Fest verlief ohne jeden Zwischenfall und hinterließ bei allen Beteiligten den besten Eindruck.
1985 feierte die Poppele-Zunft ihr 125-jahriges Bestehen mit einem weiteren Narrentreffen in Singen.
2004 fand das Große Narrentreffen der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte zum zweiten Mal in Singen statt, an dem alle 69 Mitgliedszünfte teilnahmen. Drei Tage tobten die Narren in der Stadt und machten die City wahrlich zum Narrennest. 20 000 Besucher am Freitagabend zum Nachtumzug, 30 000 Besucher am Samstag zu den Brauchtumsvorführungen und 50 000 Zuschauer beim Großen Narrensprung! Zweieinhalb Jahre hat sich die gesamte Zunft auf das Großereignis in Singen vorbereitet, dessen Kosten mit 750.000 Euro veranschlagt wurden. Nachdem alles Kalkulierbare bis ins letzte Detail durchgeplant war, gab es für die Veranstalter nur noch einen Risikofaktor : das Wetter. Noch in den Tagen zuvor hatten Sturm und Regen der Dekoration übel mitgespielt. Doch wenn die Stadt Singen feiert, ist das Wetter fast immer auf ihrer Seite. Und so war es auch gestern beim großen Narrensprung. Alles lief so ab wie erträumt: Die Sonne erwärmte die Herzen und ließ sogar den Schnee schmelzen. Und das Fernsehen sorgte mit seiner Live-Übertragung für einen flüssigen Umzug.“ Herrliche Masken und Häser waren aus den acht Landschaften der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte zu sehen. Besonders schön präsentierten sich die Narren vor dem VIP-Zelt und vor der Ehrentribüne, auf der nur Ministerpräsident Erwin Teufel fehlte, weil er zu einem Treffen mit CDU-Chefin Angela Merkel nach Berlin musste. Dafür waren Innenminister Thomas Schäuble und der Regierungspräsident Sven von Ungern-Sternberg gekommen.
In insgesamt 14 Zelten wurde an drei Tagen überall Live-Musik geboten; auf verschiedenen Bühnen zeigten die Zünfte mit den verschiedenen Figuren ihr Brauchtum. Von Freitagabend an bevölkerten auch zahlreiche Guggenmusiken die Innenstadt und machten die Runde durch die Zelte und Besenwirtschaften. So auch am ganzen Samstag und Sonntag außerhalb des mehr als vierstündigen Umzuges.
2010 stand das nächste närrische Großereignis nach 2004 an: Die Poppele-Zunft feierte ihr 150-jähriges Jubiläum und veranstaltete ihr viertes große Narrentreffen. Es war ein Narrentreffen der Superlative, was die Poppele-Zunft zum 150-jährigen Jubiläum vier Tage lang veranstaltet hat. Die ganze Logistik stellte sich dabei anders als 2004 dar: Er gab die Stadthalle und den Rathausplatz davor. Keine Baustelle zwang dazu, eine dezentrale Zeltstadt aufzubauen wie 2004. Wenn das Wetter etwas besser gewesen wäre, wären auch die beiden großen Umzüge mit mehr Zuschauern ausstaffiert gewesen. Ein kurzer Narrenspiegel in der Kunsthalle, dann die Einweihung des Narrenbrunnens, auf den können die Singener wirklich stolz sein, der Brunnen ist in der Gegend einzigartig. Die Zelte waren an allen Tagen fast bis zum Bersten gefüllt, hier sorgten ein gutes Dutzend Musikgruppen für Spaß und Unterhaltung.
Der im schwäbisch-alemannischen Fasnetraum heute nahezu einmalige „Hoorig Bär“ ist der letzte Vertreter einer früher im Hegau und anderen Gebieten verbreiteten Fasnetfigur 46), Symbol des unheimlichen und bösen Winters, der vom Frühling bzw. Sommer vertrieben wird. Vielleicht ist das heute noch übliche Verbrennen eines Strohmannes nach Schluss des Hemdglonkerumzuges am Schmutzigen Dunschdig eine unbewusste Erinnerung daran, dass einmal der Hoorig Bär selbst verbrannt worden ist.
Diese nur aus dem bäuerlichen Jahreszyklus zu deutende Fasnetfigur ist in Singen noch bis in die 1880er Jahre gelaufen und verschwand dann – wie der Blätzlibuä — unter der Einwirkung der zunehmenden Verstädterung. Erst in den Jahren 1926 bis 1928 erinnerte man sich wieder an den Hoorig Bär. Mehrere Mitglieder des Narrenrates bemühten sich eifrig 47) durch Befragung einer großen Zahl von alten Singenern, welche die Fasnet ab 1860 noch miterlebt hatten, die einstigen Fasnetbräuche wieder zu ermitteln48). Immer mehr setzte sich die Einsicht durch, daß die Singener mit dem Hoorig Bär und dem Blätzlibuä zwei Fasnethäse besessen hatten, die sich würdig neben jede fasnächtliche Gestalt anderer Narrenzünfte stellen konnte. In einer Denkschrift vom 21.01.1934 legte Hans Maier die Ergebnisse seiner Nachforschungen dar und zeigte ein rekonstruiertes Blätzlibuä-Kostüm. Aber die beiden Fasnetfiguren wollten den Mitgliedern des Hohen Rates wegen ihrer „Primitivität“ und wenig feinen Art nicht gefallen.
In der Denkschrift heißt es u. a.: „dä hoorig Bär“ wurde bis in die 1880er Jahre aus einem Schaub (Bund) Roggen- oder gelegentlich auch aus Erbsenstroh hergestellt, das Bund Stroh wurde über dem Kopf des Maskenträgers so abgebunden, daß noch ein kurzes Stück des Strohschaubs strahlenförmig auseinanderstand. Weiter band man den Strohbund am Halse, z. T. auch unter den Armen sowie in der Taille möglichst eng ab. Unter der Taille wiederholte sich dieses Abbinden noch einigemale, entweder so, dass beide Beine mit eingebunden wurden, so dass sich der Maskenträger nur in kleinen hüpfenden Schritten fortbewegen konnte, oder dass beide Beine für sich abgebunden wurden und volle Bewegungsfreiheit, also auch Hüpfen und Springen ermöglichte. Endlich schnitt man beim Gesicht vorsichtig noch ein Loch heraus, dass der Maskenträger eben noch atmen und sehen konnte; mitunter wurde auch über diese kleine Öffnung ein mit Guck- und Atemlöchern versehener Stofflappen gehängt. In späteren Jahren wurden dazu auch einfache Larven verwendet. Als Fußbekleidung trug der Hoorig Bär die damals üblichen bis unter die Knie reichenden geraden Stiefel. Mehr oder weniger bunt auf geputzte Treiber oder „Blätzlibuä“ führten den Strohbär, der in seinen Händen oft einen knorrigen, dicken, fast mannshohen Ast trug, an einem um den Leib gebundenen Strick. — Der Hoorig Bär — auch der Blätzlibuä — traten immer nur vereinzelt auf; der Strohbär mußte jedes Jahr neu angefertigt werden.“
Der Blätzli-Hansel konnte sich an Urtümlichkeit und Originalität nicht mit dem Hoorig Bär messen. Er ist vermutlich den städtischen Hänsele nachgebildet, aber seit dem beginnenden 19. Jahrhundert in Singen nachweisbar 49). Das Häs des Blätzlibuä war nicht einheitlich ausgeführt, blieb sich aber doch in den Hauptteilen gleich: auf eine lange ziemlich enge Hose, die nach oben mit einer angenähten engen Ärmeljacke (altes Kleidungsstück) verlängert worden war, wurden überall in wahlloser Reihen folge bunte Stoffläppchen genäht, jedoch ohne festgelegte Form und Größe; an möglichst vielen der Stoffläppchen klingelten kleine Schellen. Als Kopfbedeckung diente entweder eine lange Zipfelmütze oder ein gestrickter Strumpf, die leicht ausgestopft, ebenfalls mit Stoffläppchen benäht, mit Narrenschellen verziert und am Ende mit einem kleinfingerdicken Seil verlängert sowie mit einem Bündel bunter Bänder oder einem buschigen Tierschwanz (Fuchsschwanz) versehen wurden. Dieses Seil reichte mitunter bis auf den Boden. In der Hand trug der Blätzlibuä einen kurzen Geiselstock mit einem mit bunten Stofflappen verzierten Seil, an dessen Ende meistens eine „Suubloodärä“ befestigt war. Eine Maske machte den Träger unkenntlich; früher waren es einfache bunte Stofflappen mit Guck- und Atemlöchern. Als Fußbekleidung dienten gewöhnliche Schuhe oder die bereits erwähnten Stiefel. Der Blätzlibuä bewegt sich laufend und springend durch die Dorf Straßen, oft als Treiber des Hoorig Bär, die Dorfjugend eilte in Scharen hinter den beiden Fasnetfiguren her und rief die alten Fasnetsprüche. —
Erst 1949, wie wir bereits berichteten, gelang die Wiedereinführung der beiden Altsingener Fasnetfiguren. Man war sich darüber einig, dass die Grundformen beider Kostüme in Übereinstimmung mit den überlieferten Berichten unter allen Umständen weitestgehend eingehalten werden sollten. Um nun den Hoorig Bär nicht jedes Jahr neu anfertigen zu müssen, verfiel man auf den Ausweg, das Stroh auf Drillichanzüge aufzunähen. Das zuerst verwendete Roggenstroh 50) eignete sich aber wegen seiner Sprödigkeit (daher sehr brüchig) nicht, weshalb dann zu dem geschmeidigeren Erbsenstroh gegriffen wurde. Neu war lediglich die Einführung holzgeschnitzter Masken51). Der Blätzlibuä erhielt statt der früher wahllos aufgenähten verschiedenartigen Stofflappen in gleicher Form gestanzte Blätzli mit genau festgelegten und in bestimmter Reihenfolge aufeinander folgenden Farbtönen, die ebenfalls auf einen Drillichanzug auf genäht wurden; von der Kopfhaube geht ein langer Schweif aus52). Das Modell von 1949 entspricht bis auf Farbe und Anordnung der Blätzchen und des wegfallenden, früher bis 1,20 m langen Seils im großen und ganzen der überlieferten Beschreibung. Damit waren der Singener Fasnet die Narrenhäse der einstigen bäuerlichen Fasnet wieder zurückgegeben.
Die übrigen Singener Fasnetfiguren sind zunächst der Fellbär mit Treiber — nicht mit dem Hoorig Bär zu verwechseln. Dieser Fellbär tritt wahrscheinlich erst seit etwa 60 bis 70 Jahren auf. Nach einer Version sei er als Ersatz für den nur einmal zu tragenden Hoorig Bär zwischen 1890 – 1900 eingeführt worden. Wahrscheinlicher ist indessen, dass er ein Überbleibsel eines Fasnetspiels ist, und zwar wohl des Jahrmarktes von 1894, unter dessen Attraktionen sich auch ein Bär mit Bärentreiber befand 53).
Die Gestalt des Poppele, Leitfigur und Schirmherren der Poppele Zunft, erinnert an den historisch belegbaren Popolius Maier von der Burg Hohenkrähen, der im 15. Jahrundert ein Schalk und Tunichtgut gewesen sein muss, so dass er der Sage weiterlebt.
Bis 1933 wurde der Poppel nur gelegentlich dargestellt.
Erst seit der Aufführung von Dr. Dyckes Poppelespiel, der dafür den Titel „Hofpoet“ erhielt 54), wurde der Poppele regelmäßig dargestellt und seitdem zur Traditionsgestalt der Singener Fasnet 55). Das gilt fast in gleichem Maße für das Eierweib, das vor dem ersten Weltkrieg ebenfalls nur ab und zu auftrat. Seit dem Dr. Dyckeschen Narrenspiel „Poppele-Streiche“ wurde das Eierweib zu einer der bekanntesten Fasnetfiguren im Hegau-Bodensee-Bezirk. 56).
Dagegen gehören Narrenmutter und Narrenvater zu den ältesten Gestalten der Singener Fasnet, schon seit dem beginnenden 19. Jahrhundert nachweisbar. Die Narrenmutter wird stets von einem Mann dargestellt, trug sonntägliche Dorftracht und ist ständige Begleiterin des Narrenvaters 57). Dieser war bis 1926 zugleich Vorstand des Narrenvereins, gehörte seitdem – wie die Narrenmutter – dem Narrenrat an. Das närrische Paar repräsentiert nach außen – neben dem Zunftmeister – die Poppele-Zunft 58).
Außer diesen Fasnet- und Traditionsfiguren wirken an der Singener Fasnet die bereits vorgestellten Rebwieber59) unter ihrer Rebwiebermodder 60) und die Blätzlihansele unter dem Hanselevater 61) sowie die große Zahl der Zunftgesellen mit.
Mit dem Schellenhansel, einem Häs für die weiblichen Zunftmitglieder, wurde 2002 eine Figur wiederbelebt, die es vor dem Zweiten Weltkrieg in Singen gab, die nach dem Krieg vollkommen verschwunden war. Ursprünglich war der harlekinartige Schellenhansel eine Hanselefigur, die sich etwa von 1880 -1900 bei begüterten weiblichen und männlichen Singener Bürgern einer gewissen Beliebtheit erfreute. Das „feine“ Kostüm war aus weißem Seidenstoff mit breiten, roten oder grünen Streifen und vielen Zacken mit Schellchen gefertigt und war in den Jahren nach 1934 vereinzelt noch einmal zu sehen.
Die Zunftgesellen, früher meist jüngere, kräftige, die Waldarbeit gewohnte Männer62) trugen Bauernkittel mit Zipfelmützen, Halstuch und Stiefel; aus dieser Waldarbeiterkleidung leitet sich die heutige Zunftkleidung ab. Zur Ausrüstung gehören neben Säge, Äxten usw. auch die „Suubloodärä“. Die Zunftgesellen sind so uralt wie der Brauch des Narrenbaumsetzens. Allerdings hatten sie früher keine andere Bezeichnung als Narrenbaumholer, vorübergehend hießen sie Laufnarren und erst seit 1933 Zunftgesellen. Damals sprangen die Zunftgesellen überall ein, wo es nottut, als „Hoorig Bärä“, Blätzlibuä, Herolde, Landsknechte usw. 63).
Auch die Narrenbolizei gehört zu den alten Singener Fasnetfiguren. Sie hat die Aufgabe, überall närrische Ordnung zu halten oder herzustellen, wozu vorzüglich die einstige Dorf schelle dient (1954 – 1979 Arnold Bippus).
Eines der eindrucksvollsten Glieder der Poppelezunft ist der 1955/56 gegründete Fanfarenzug in Landsknechttracht mit damals 9 Landsknechttrommeln und 27 Fanfarenbläsern.
So bietet die Poppelezunft in ihrer Gesamtheit einen imponierenden, farbenfrohen Anblick. Ihr Ziel ist die Wahrung und Pflege echten heimischen Brauchtums.
An Martini, dem 11. November, verkündet der Zunftmeister in der stimmungsvoll geschmückten „Narrenbeize“ zur Sonne (Anmerkung: seit dem Umbau der Sonne 1995 in der GEMS) das Programm der kommenden Fasnet. Punkt 11 Uhr 11 Minuten hält der Poppelerat seine öffentlichen Ratssitzung in dem von den Mitgliedern und Narren dicht besetzten GEMS-Saal unter den Klängen des Narrenmarsches. Dann erscheint der Burggeist Poppele, um die verschlafenen Bürger seiner Stadt zu wecken und ihnen ihre Narrheiten seit der letzten Fasnacht aufzuzeigen. Seit Jahren nehmen an dieser würdigen, pointenreichen Sitzung der Oberbürgermeister, Bürgermeister und viele Vertreter aus Politik und Wirtschaft teil.
Zwischen Dreikönig und Fasnet veranstaltet die Zunft seit 1957 in der Scheffelhalle die „Poppele-Spiele“ (heute: Narrenspiegel, seit 2008 in der Stadthalle), die wegen der starken Nachfrage mehrmals aufgeführt werden müssen.
Dann folgen der Zunftball, der am Samstag vor dem schmutzigen Donnerstag stattfindet, in der immer wieder aufwendig und früher märchenhaft dekorierten Scheffelhalle, die am Zunftball selbst bis zu 2000 frohgestimmte Menschen aufnimmt; der Einmarsch der gesamten Zunft mit Begrüßung durch den Zunftmeister, Verkündigung des Hallenbocks, Maskenprämierungen und den gegenseitigen Besuchen der Singener Narrengesellschaften ist ein unvergesslich farbenfrohes Bild bis in die Morgenstunden.
Am Vorabend des schmutzigen Dunschdig hält die Zunft im GEMS-Saal (früher: Sonne) eine Ordenssitzung ab, in der Ehrungen mannigfacher Art an die närrischen Zunftgetreuen verliehen werden.
Der Haupttag der Singener Fasnet ist der Schmutzige Dunschdig. Schon in aller Frühe ziehen der Fanfarenzug und die Musiken anderer Singener Narrenvereine durch die Stadt, um die Leute zu wecken. Ausgewählte Zunftgesellen, die sog. Narrenlochkommission, ziehen durch die Stadt, um das Narrenloch zu suchen und zu vermessen. Inzwischen wird der Narrenbaum in aller Frühe durch die Zunftgesellen gefällt (neben dem Waldfriedhof) und in die Nähe der Zunftschüür gezogen.
Gegen 9 Uhr gehen die Narren in die Schulen und befreien die Kinder aus ihrem lästigem Zwang, um anschließend beim großen Närrischen Treiben auf dem Rathausplatz mitzumachen.
Darauf beginnt die Erstürmung des Rathauses in der Art eines großen, öffentlichen Schauspiels mit jährlich wechselndem Inhalt, aber mit gleichem Ende: Die Stadtväter müssen abdanken und ihre Gewalt den Narren übertragen. Dieser „Stadtübergabe“ wohnen alljährlich viele Zuschauer bei. Das Spektakel fand früher unter akrobatischem Einsatz vor dem alten Rathaus statt. Heute wurde es in den Ratssaal verlegt.
Am zeitigen Nachmittag formiert sich ein gewaltiger Narrenbaumumzug, den sämtliche Singener Narrengesellschaften mit ihren Narrenbäumen gemeinsam durchführen. In diesem Umzug spielt der Pflug, welcher den närrischen Boden aufreißt, der Sämann, der den Narrensamen in den Boden legt, die Egge, welche den Boden wieder einebnet, damit der Narrensamen in ihm gedeihen und damit närrisch-frohe Früchte trage, eine große symbolische Rolle. Mit dem Narrenbaumumzug beginnt die eigentliche öffentliche Fasnet. Die entmachteten Gemeinderäte werfen unterwegs Bonbons etc. aus, dafür stimmt die Jugend recht kräftig die alten Narrensprüche an.
Am Ende des Umzugs wirf auf dem Hohgarten dann der Narrenbaum durch die geübten Zunftgesellen gesetzt und am Ende mit dem Hoorig-Bären-Tanz gefeiert.
Am Abend des ereignisreichen Tages zieht der Hemdglonkerumzug durch die Stadt mit ohrenbetäubendem Lärm, zahllosen Fackeln, Lampions und neuerdings auch beleuchteten Transparenten; nach Schluss des Hemdglonkerumzuges wird ein mitgeführter riesiger Strohmann (Bög) auf dem Hohgarten verbrannt in Erinnerung an die symbolische Dorffasnet von einst.
Der Fasnetfreitag ist den Kindern am Kindernachmittag vorbehalten. Die PKNVG veranstaltet in der Scheffelhalle unter einem wechselden Motto ein großes Fest für hunderte kleine Narren.
Die Erwachsenen können abends den wiederbelebten Brauch des Schnurrens in den alten Singener Gaststätten miterleben.
Der Große Umzug (früher Kinderumzug) am Fasnetsamstag hat sich mit über 60 Gruppen zu einem Magnet im Hegau entwickelt. Die Straßen säumen tausende Zuschauer und die vielen Umzugsteilnehmer werden am Ende mit Wurst und Wecken belohnt.
Abends strömmen die Massen zum ehemaligen Bürgerball in die Scheffelhalle, der heutigen Singemer Fasnetnacht, um das Tanzbein zu schwingen.
Mit dem schmutzigen Donnerstag ist eigentlich der Höhepunkt der Singener Fasnet überschritten. Es folgt nun am Fasnetsonntag seit 1894 der beliebte Närrische Jahrmärkt auf dem Hohgarten, in denen man alle Wunder der Welt sehen und kaufen kann.
Am Fasnetmontag stattet die Zunft ihren langjährigen traditionellen Besuch bei den „Gerstensäcken“ in Gottmadingen ab, die dort fast jedes Jahr einen stattlichen Umzug durchführen. Abends veranstalten die Rebwieber den Rebwieberball.
Die Beerdigung der Fasnet bringen jedem schmerzlich deutlich das Ende der närrischen Tage zu Bewusstsein. Am Fasnetdienstag in der Scheffelhalle wird in der Narrenbaum versteigert. Nach einem wehmütigen Rückblick auf die ereignisreichen Tage beendet das vom Singener Bürgermeister(-in) gestiftete Wurstzipfelessen endgültig die Fasnet und der Poppele verschwindet unter Wehklagen seiner Zünftler in seiner Gruft am Hohenkrähen, bis er an Martini wieder erscheint.
Die Poppele-Zunft hat 2019 knapp über 1000 Mitglieder, davon über 100 Kinder und spielt seit Jahrzehnten im Leben der Stadt Singen eine wichtige Rolle: als größte und älteste von insgesamt 11 Narrenzünften in Singen organisiert sie die Straßenfasnet und bietet der Singener Gesellschaft mit dem „Narrenspiegel“ ein anspruchsvolles, fast vierstündiges Kabarett zur Kommunalpolitik.
Die Eigenart und Bodenständigkeit der Singener Fasnet zeigt sich auch in den z. T. uralten Narrensprüchen, die nur hier bekannt sind. Auch sie waren zum größten Teil untergegangen und zeitweilig durch den in unserer Gegend weit verbreiteten Ruf:
Hoorg, hoorig, isch die Katz . . .
verdrängt worden. Es ist ein Verdienst des ehemaligen Narrenvaters, Flaschnermeister und Altstadtrat Otto Waibel, Ende der zwanziger Jahre die alten Singener Narrensprüche wieder eingeführt zu haben. Der wichtigste von ihnen weist auf den Hoorig Bär hin:
„Hoorig, hoorig, hoorig isch dä säll!
Und wenn dä säll it hoorig wär,
no däht mär it wüssä wär hoorig wär!“
Ein anderer Narrenruf heißt:
„Hauäd dä Chaz de Schwanz ab,
hauäd’än nu it ganz ab,
Londerä no än Schdumpä schtoo,
Daß si cha schpazierä gooh …“
Ein dritter alter Narrenspruch endlich ist auf den „Blätzlibuä“ gemünzt; er dürfte wahrscheinlich ungefähr wie folgt gelautet haben:
„Fidi, fadi Lump am Schtäckä,
Laß mi „mol am Schtäckä läckä.
Duäschd di jungä Meidli schreckä (Bischd än bösä Meidlischreckä)
Lump am Schtäckä,
Meidlischräckä Schtäckäläckä …“
Es wäre zu wünschen, daß auch diese beiden heimischen Narrensprüche wieder zu Ehren kommen.
1) Der spärlichen Überlieferung ist es zu verdanken, dass die „Narrenzunft Poppele e. V. 1862″ bis zum Jahre 1959 eine falsche Jahresbezeichnung führte, denn das eigentliche Gründungsjahr 1860 ist nach 1910 vollkommen vergessen worden.
2) Die aus dem Privatarchiv von Peter Oexle stammenden 7 einschlägigen Sammelbände tragen die Nummern 60, 62, 64, 71, 76, 96 und 96 d und wurden von ihm der Poppele- Zunft übergeben. Aus seinem Archiv wurden 4 weitere Bände, nämlich Sammelband II (Beiträge zur Stadtgeschichte) mit 3 Nachtragsbänden benutzt, die Peter Oexle dem Stadtarchiv überlassen hat. Ferner ist die von Peter Oexle um 1933 verfasste Poppele- Chronik herangezogen worden.
3) Für viele Hinweise schuldet der Verfasser Herrn Malermeister Hermann Pfoser Dank.
4) Die Zahl der Archivalien des alten Singen ist weitaus geringer als die anderen Dörfer. Die Masse der Akten beginnt erst um 1890—1910. Inventar des Stadtarchivs Singen (Hohentwiel), hg. 1954 durch Dr. Berner (masch.-schriftlich), S. III ff. — Vgl. die zahlreichen Rügen des Bezirksamts Radolfzell seit den 50er Jahren über die mangelnde Registraturführung, z. T. verursacht durch die ständige Raumnot, ferner unkontrollierte Aktenausscheidung usw. a. a. O.
5) Als Beispiel hierzu sei angeführt, daß in den 80er Jahren auf dem Dachboden des Rathauses noch die kompletten Uniformen der einstigen Singener Bürgerwehr lagerten, die dann spurlos verschwanden, ohne daß ein einziges Stück davon aufbewahrt wurde.
6) Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zählte Singen rund 1200 Einwohner. 1858 hatte Engen 1609, Radolfzell 1370, Meßkirch 1726 und Stockach 1823 Einwohner.
7) Durch die ziemlich gleichförmige Kleidung waren die darin steckenden Personen kaum zu erkennen.
8) Im Enzenberg-Archiv S II 9/1 liegen Ge- und Verbote zur Fasnacht aus dem 18. Jh.
9) Siehe in dieser Veröffentlichung, S. 52.
10) Höhgauer Erzähler Nr. 28 v. 5. III. 1859 S. 104.
11) a. a. O. Nr. 20 v. 16. II. 1860 S. 119 f.
12) Gaslicht war etwas unerhört Modernes, ebenso wie die Eisenbahn, die 1863 eröffnet wurde. Alle diese erwarteten und noch nie gesehenen Dinge reizten immer wieder zu phantastischen fasnächtlichen Zukunftsbildern. — Der Bahnhof wurde etwa bis 1896 mit Gas beleuchtet, das in einem kleinen bahneigenen Gaswerk auf der Südseite der Schienenstraße gegenüber dem Eingang zur heutigen Maggistraße stand; ein Teil des Gebäudes wurde 1945 durch Bomben zerstört. — Mit der „Kornhalle“ ist die enzenbergische Fruchthalle beim Schloß gemeint.
13) Höhgauer Erzähler Nr. 25 v. 27. II. 1862 S. 195.
14) a. a. O. Nr. 20 v. 14. II. 1863, S. 158 f.
15) a. a. O. Nr. 27 v. 2. III. 1867, S. 194
16) Die Singener Anzeigen im Höhgauer Erzähler waren im Vergleich zu den Inseraten anderer Narrenvereine fast durchweg die größten und umfangreichsten, was Rückschlüsse auf die Bedeutung und das Ansehen der Singener Fasnetspiele nahelegt.
17) Wahrscheinlich stammt die alte Poppelefahne aus dem Jahre 1885. Vielleicht stand bei der Namengebung auch der Gedanke Pate, einen Schirmherren für die Fasnet zu gewinnen nach Stockacher Beispiel.
18) Brauerei Mündig = Kässnerbrauerei (heute Opel-Dienst Brecht)
Brauerei Ochsen = heute Irrlewind, Kosmetik, Scheffelstraße 37
Brauerei Hammer = heutiges Restaurant Stadtgarten
Brauerei Haas = heutige Friedenslinde
Brauerei Anton Müller = heute Müllers Restaurant, Hauptstraße 8
Brauerei Karl Waibel = heutiger Gambrinus
Brauerei Jak. Buchegger (Köbi) = heutiger Deutscher Hof Hohentwieler
Brauerei = Domäne Hohentwiel
(Freundlicherweise mitgeteilt durch Herrn Malermeister Hermann Pfoser, Singen).
19) Am Sonntag, den 11. II. 1906, fand in den Sälen der Kässner-Brauerei eine erste Zusammenkunft der bei den Hohentwiel-Festspielen mitwirkenden Damen und Herren statt. Anwesend waren 400—500 Personen aus Singen und der näheren Umgebung. Singener Nachrichten vom 14. 2. 1906 (Nr. 19).
20) Viele Geschäftsleute und Beamte hielten sich fern und kritisierten dafür um so lieber. Di; nach 1900 Zugewanderten kannten die alemannische Fasnet kaum oder gar nicht, standen ihr völlig verständnislos gegenüber und hielten sie für ein lächerliches Getue, das erwachsenen Menschen unwürdig sei. 1910 bestand die Einwohnerschaft zu mehr als zwei Drittel aus Neubürgern.
21) In jenen Jahren brachte die von einigen Poppele-Mitgliedern auf eigene Faust gefeierte „Wilde Fasnet“ die Narrenvereinigung in Mißkredit.
22) Allerdings gab es schon früher Narrenzeitungen, so 1878 die erste des Lesevereins, 1914 die „Platzpatrone“, 1925 „Der alte Poppele“ und ab 1927 fast alljährlich eine Poppele- Narrenzeitung.
22a) Dr. Ernst Dycke (25. X. 1863—6.1. 1947) hat schon 1906/07 ein Büchlein „Der Burgvogt vom Hohenkrähen. Ein Sang aus dem Hegau“ veröffentlicht (Hofbuchhändler Ernst Ackermann, Konstanz). Vgl. S. 104 in dieser Veröffentlichung. — Das Buch ist dem Grafen Zeppelin gewidmet
23) S. Anmerkung 1.
24) In dieser Liste fehlen noch das Eierweib, der Hoorig Bär und der Blätzlibuä.
25) Schon 1934 und auch 1935 wieder hatte Peter Oexle in einem Schaufenster seines Geschäftes eine Singener Fasnetausstellung gezeigt, darunter auch einen „Blätzlibuä“ und Hoorig Bär.
26) Schon seit 1930 hatte man versucht, die „Übergabe der Stadtgewalt“ an die Narren durchzuführen, doch fand man bei den Herren der Stadtverwaltung nicht das notwendige Verständnis dafür.
27) Motto: „Eine Nacht in St. Pauli“.
28) Mit Sondergenehmigung der franz. Militärregierung in Freiburg.
29) Die meisten Hotels und Gasthöfe waren von den Franzosen beschlagnahmt, darunter auch die „Sonne“. Vom Inventar war viel verdorben oder den Franzosen zum Opfer gefallen, z. B. 50 blaue Kutten für die Stadtmusik und viele Einzelkostüme; das Poppele- Kostüm war schwer beschädigt. Glücklicherweise hatte Peter Oexle rechtzeitig sämtliche der Zunft gehörenden historischen Bilder in der „Sonne“ sowie eine Anzahl Requisiten und den größten Teil des Poppele-Archivs in seiner Wohnung geborgen. — Wegen der Beschlagnahme der „Sonne“ diente die „Friedenslinde“ einige Jahre als Narrenlokal.
30) Die Kosten von 1570.- RM wurden von den Zunftmitgliedern und durch freiwillige Spenden bestritten,- mit dem Erträgnis aus der Narrenbaumversteigerung verblieb sogar noch ein Überschuß von 230,30 RM.
31) Nach Kriegsende hatte die Besatzungsmacht sämtliche Vereine aufgelöst. Lediglich kulturelle Vereine“, wozu auch die Poppelezunft gehörte, durften auf Antrag und unter Vorlegung des sog. „politischen Fragebogen“ von 5 Gründungsmitgliedern wieder ins Leben gerufen werden. Der Antrag wurde am 15. IX. 1948 eingereicht, die Genehmigung zur Gründungsversammlung vom Bürgermeisteramt mit Schreiben vom 25. Okt. 1948 mitgeteilt.
32) Anm. der Redaktion: Blätzli-Hansel und Hoorig Bär wurden nach den Ermittlungen und den Angaben von Zunftmeister Maier in dessen Werkstätte hergestellt; auch das erste Blätzlibuä-Modell von 1934 stammte aus seiner Werkstatt. Das Verdienst um die Wiedereinführung dieser beiden ältesten Fasnetfiguren kommt ausschließlich Hans Maier zu, dem Verfasser dieses Beitrages. Hans Maier gehörte der Zunft seit 1925 an.
33) So war z. B. schon 1937—1939 die Idee aufgetaucht, dem „einsamen“ Poppele eine Garde von Raub- und Strauchrittern beizugeben. Dieser Plan wurde auch 1948/49 heftig diskutiert in der Meinung, daß alles in der Poppele-Zunft auf die Gestalt des Burggeistes hin orientiert sein müsse. Dabei vergaß man, daß die ehemalige Singener Narrengesellschaft „Narronia“ sich erst 1885 den Namen „Poppele“ zugelegt hatte, während die beiden heimischen Brauchtumsfiguren schon sehr alt sind. Vgl. S. 38 ff.
34) Prof. Dr. Künzig, Landesstelle für Volkskunde in Freiburg i. Br., widmete in seiner 1950 erschienenen Broschüre „Die alemannisch-schwäbische Fasnet“ dem Singener Hoorig Bär eine ganze Bildseite (S. 28 f) und nahm ihn auch in die Umschlagzeichnung auf.
35) Der Singener Stadtmusikdirektor Ludwig Stock ist der Komponist des Poppelemarsches „Hoorig, hoorig, hoorig isch dä seil!“, uraufgeführt am 14. XII. 1949 im Cafe National.
36) Allerdings endete die Fasnet 1951 mit einem Defizit, verursacht vor allem durch die zwar wunderschöne, aber sehr kostspielige Dekoration der Scheffelhalle als „Hafen von Adano“. Auch 1952 ergab sich beim Zunftball mit dem verunglückten Motto: „Poppele, Hunnen u. Zigeuner“, nachträglich geändert in „Bär und Zigeuner, die Herrschaft vom Twiel ruft Poppele zum 90. Narrenspiel“, ein erneutes Defizit. Erst im Oktober/Novem- ber 1952 wurde in der Scheffelhalle eine Leichtbauplattendecke eingebaut, wodurch sich die Dekoration erheblich einfacher gestalten ließ.
37) Das Amt des Zunftkanzlers war 1949 neu geschaffen worden,- er ist zugleich 2. Vorsitzender des Vereins.
38) Eine wesentliche Neuerung unter Zunftmeister Lietz war 1952 die Einführung der roten Zipfelmützen mit Stadtwappen und unterschiedlichen Kordeln für aktive und passive Zunftmitglieder und die Ehrenzunftgesellen.
39) Die Zunft ist seit 1952 als Hüterin des Poppele-Nestes Hohenkrähen Mitglied der internationalen Burgenvereinigung.
40) Es ist im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich, die sehr aufschlußreichen Entwicklungstendenzen und internen Vereinsangelegenheiten der jüngsten Zeit darzustellen; dies ist in einer maschinenschriftlichen Abhandlung von Hans Maier über die Geschichte der Poppele-Zunft auf 170 Seiten geschehen.
41) Von Bedeutung für die Singener Fasnet war ferner die am 4. XI. 1952 erfolgte Gründung der „Arbeitsgemeinschaft der Singener Narrenvereine“, der heute die Neuböhringer, Alt-Neuböhringer, die Grabenhupfer, Tiroler Eck und Blumenzupfer angehören.
42) Dem neugebildeten Kuratorium (Nov. 1952) gehören die Vertreter der Stadtverwaltung, des Stadtrates, der Industrie, der Gastronomie, der Poppelezunft und der vereinigten Narrengesellschaften an.
43) Am großen Zunftball „Auf einem andern Stern“ am 7. 2. 1953 standen im Mittelpunkt die erstmals in größerer Zahl auftretenden „Hohbieler Rebwieber“ mit ihrem quicklebendigen Schnurren (Hohbielär Wii, Speck und än Brenz).
44) In früheren Jahren fand am Aschermittwoch meist ein Schneckenessen statt. — Das Wurstzipfelessen beginnt wegen des Fastentages erst nach Mitternacht.
45) Das Hauptverdienst am Gelingen der Poppele-Spiele, die 1958 und 1959 fortgesetzt wurden, kommt Walter Fröhlich = Wafrö und Gottfried Schmid = Gosch zu. Die Anregung zu den Poppele-Spielen kam aus den Reihen des Großrats, um vor allem den älteren Leuten eine rechte Fasnetfreude zu bereiten.
46) Vergl. Aufsatz: Fasnet im Hegau, S. 39 ff.
Eine der ältesten Bürgerinnen von Singen, Frau Frida Hirling, aus der „Sonne“ stammend, hat z. B. in ihrer Jugend noch die Hoorig Bärä gesehen, doch habe es diese „überall“ im Hegau gegeben. Ähnliches bestätigten andere Altsingener, z. B. Josef Waibel. Immer hieß es: „Au min Vaddr und Großvaddr hond des scho gliich gmacht.“
47) u. a. Josef Waibel, Peter Oexle, Hans Maier, Philipp Schrenk, Hannes Bliestle.
48) In jenen Jahren wurden u. a. befragt: Adolf Denzel, Albert Denzel, Hermann Denzel, Anton Buchegger, Gottfried Allweiler, Ludwig Bach, Gabriel Pfoser, Franz Mattes (Altstadtrat), Leander Maier-Moser, Gustav Mayer (Kronenwirt), Gustav Müller, Ernst Müller, Viktor Weber, Gottfried Weber, Konrad Reize, Otto Waibel (Altstadtrat), Hermann Waibel (Hammerschmied), Otto Waibel.
49) Der Blätzlibuä darf nicht mit dem harlekinähnlichen Schellenhansel verwechselt werden, der von 1880—1900 in Singen auftrat. Vgl. S. 116 in diesem Aufsatz.
50) Vergl. Kiinzig, S. 29; die aus Roggenstroh gefertigten Hoorig Bärä wirkten am ursprünglichsten und sehr dämonisch.
51) Bis 1955 fertigte Schemenschnitzer Fritz Moser, Villingen, seitdem Hans Jehle aus Sulz a. N. die Masken.
52) Bei der Anfertigung des ersten Modells 1934 in der Werkstätte von Hans Maier wurde nach der Überlieferung am Ende der Zipfelmütze ein Seil befestigt und mit Stoffplätz- chen versehen. Da dies zu schwer und zu mühsam zu bewerkstelligen war, wurde eine mit Seegras ausgestopfte Stoffröhre benutzt und an diese die Blätzli genäht.
53) Der Fell-Bär, noch weniger der Hoorig Bär, haben das Geringste mit dem Singener Stadtwappen zu tun, in das 1899 der St. Galler Bär aufgenommen wurde, weil Singen erstmals in einer St. Galler Urkunde genannt ist.
54) Dr. Ernst Dycke, Worblingen, pest. 1947, schrieb außer den Poppele-Streichen mehrere Poppele-Gedichte, Narrensprüche, Prologe usw. und komponierte auch einen Poppele- marsch und mehrere Poppelelieder. Vgl. Anm. 22a.
55) Erster markanter Darsteller des Poppele war Ludwig Ehrlich, 1938 Anton Bechler, 1948 Alfons Weber und seit 1953 Wolfram Sauter.
56) Erster Darsteller Hermann Woller, dann K. Klaiber, Friedrich Pfoser, Anton Griesser, Karl Schindler und seit 1955 Fred Seeberger. Vgl. Poppele-Sagen S. 88.
57) Bekannte Narrenmütter in neuerer Zeit: Gustav Müller 1930/39 und Hannes Bliestle seit 1949.
58) Markanteste Narrenväter der letzten Jahrzehnte sind Paul Schuster 1930/39, Philipp Schrenk 1949/51 und seit 1952 Gustel Ehinger.
59) S. 109 in diesem Beitrag.
60) Frieda Pfoser 1953/55, seit 1956 Maja Sick.
61) Seit 1953 Eugen Schmidt.
62) Sie hatten den Narrenbaum zu fällen, räppeln, herzurichten und aufzustellen.
63) Jeder aktive Narr wird heute beim Eintritt in die Zunft zunächst Zunftgesellen-Anwärter, wird nach 6 Monaten Zunftgeselle mit der Berechtigung, die rote Zunftzipfelmütze tragen zu dürfen,- weitere Chargen sind Oberzunftgeselle und Ehrenzunftgeselle.