(Auszüge von Dr. Franz Götz in der Südkurier-Ausgabe vom 4.3.00 und Werner Mezger, 1999)
Wie könnte man das Wesen und die Herkunft des Fasnachtsbrauchtums kurz umschreiben?
Die Fasnacht ist in erster Linie ein Spiel der verkehrten Welt. An Fasnacht werden die normalen Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Vor der Fastenzeit durften die Menschen mit Billigung der katholischen Kirche sich noch einmal so richtig austoben, also nach christlichem Verständnis vor dem Ernst der heiligen Fastenzeit ein unheiliges, ein teuflisches Spiel spielen.
Fastnacht stammt nicht wie irrtümlich gemeint aus vorchristlicher Zeit bzw. von den heidnischen Germanen, sondern hat ihren Ausgangspunkt voll und ganz im christlichen Jahreslauf, wo sie von Anfang an das Schwellenfest vor dem Anbruch der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern bildeten, die mit dem Aschermittwoch beginnt.
Den Beweis hierfür liefert allein schon der Name des Brauchtermins: Ebenso wie der Abend vor dem Geburtsfest Christi „Weihnacht“ heißt, meint „Fastnacht“ den Vorabend der Fastenzeit (vgl. Mezger 1999, S.8f).
Der Termin der Fastnacht wird durch den beweglichen Ostertermin bestimmt, der seinerseits auf den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond festgelegt ist und somit zwischen dem 23. März und dem 24. April schwankt. Aschermittwoch kann dadurch im frühesten Fall auf den 3. Februar und im spätesten auf dem 10. März liegen. Die Fastnacht besteht nicht nur aus den bekannten Haupttagen, sondern wird ergänzt durch eine von Jahr zu Jahr unterschiedlich lange Vorfasnetszeit, die je nach Kalenderkonstellation minimal vier und maximal neun Wochen dauern, also um volle 35 Tage variieren kann.
In der sechswöchigen Fastenzeit war unter Androhung empfindlicher Strafen der Konsum des Fleisches von warmblütigen Tieren oder auch der Genuss aller weiteren aus Großvieh- und Geflügelhaltung gewonnenen Nahrungsmittel wie Schmalz, Fett, Milch, Butter, Käse und Eier untersagt.
Dies hatte für die letzten Tage vor Fastenzeit zur Folge, dass eigens noch mal geschlachtet und in großen Mengen Fleisch verzehrt wurde, und dass man zudem nach Wegen suchte, die verderblichen Vorräte sämtlicher übrigen unters Fastengebot fallenden Speisen vollends aufzubrauchen. Aus der Notwendigkeit solcher Resteverwertung entstanden im 13 Jhrt. unter anderem die traditionell schmalzgebackenen, reichlich eierhaltigen Fastnachtsküchlein oder -krapfen, die gewöhnlich eine knappe Woche vor Aschermittwoch, am sogenannten „fetten (süddt. schmutzigen) Donnerstag“, hergestellt wurde (vgl. Mezger 1999, S.9).
Zu diesen ersten, ausschließlich ökonomisch bedingten Feierformen traten bald weitere Elemente der Fastnachtsgestaltung wie Musik und Tanz. Da dies keine reine Männerangelegenheit innerhalb bestimmter Zunftrituale war, sondern mit Partnern beiderlei Geschlechts abgehalten wurden, ging es dabei in der Tat nicht prüde zu. Das kam den Bedürfnissen der Brauchbeteiligten wiederum insofern entgegen, als die Fastenzeit Abkehr vom Fleisch im zweifachen Sinn forderte: zum einen eben den Verzicht auf entsprechende Speisen und zum anderen, übertragen gemeint, die nicht minder konsequente Standhaftigkeit gegenüber allen sonstigen Verlockungen des Fleisches, sexuelle Entsagung also. Dadurch wurden die tollen Tage vor dem Aschermittwoch erst recht zum Ventil. Sinnvollerweise legten, um sich in der Fastenzeit nicht zu versündigen, viele junge Paare ihre Hochzeitsnacht eigens noch in die Fastnacht, wodurch sich dies zu einem der beliebtesten Heiratstermine im Jahr profilierte (vgl. Mezger 1999, S.9).
Im 14. und 15. Jahrhundert lagerten sich um den Fastnachtstermin in wachsendem Maße Spiel- und Schaubräuche an, als deren Träger vor allem die ledigen Handwerksgesellen fungierten. An der Schwelle zur Neuzeit entfaltete sich die demonstrative Seite der fastnächtlichen Bräuche immer mehr. Es gab organisierte Vorführungen wie beispielsweise das Pflug-, Block- oder Eggenziehen zur Verspottung alter Jungfern, wilde Lärmorgien mit improvisierten Instrumenten, groteske Schlittenfahrten oder den angesichts der winterlichen Wassertemperaturen für die beteiligten Akteure nicht ganz ungefährlichen Schlussbrauch des Brunnenwerfens. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die städtischen Umzüge. Und schließlich inszenierte man auf die tollen Tage auch gerne weltliche Theateraufführungen, eben sogenannte „Fastnachtspiele“.
Spätestens um 1500 waren die Fastnachtsumtriebe kaum noch dem Zufall überlassen, sondern wiesen ein hohes Maß an Gelenktheit auf. Selbst was die erotisch -animalische Seite des Festes betraf, wurden obrigkeitliche Reglementierungsversuche unternommen. Was die Obrigkeit freilich noch weit mehr beunruhigte als die vorübergehende Lockerung der Moral während der tollen Tage war die Tatsache, dass die Akteure der Fastnacht im Verlauf des 15. Jahrhunderts mehr und mehr dazu übergingen, verkleidet und maskiert herumzulaufen, und dass sie sich so im Schutz der Unkenntlichkeit leicht der unmittelbaren Kontrolle durch die Ordnungsorgane entziehen konnten.
Nachdem die Masken und Vermummungen, die zur Fastnacht getragen wurden, anfangs noch eher zufällig gewesen sein dürften, begann sich ab etwa 1450 ein immer klareres Figurenrepertoire auszuprägen, dessen Grundtypen, natürlich mit zahlreichen lokalen Varianten, sich über weite geographische Räume hinweg sehr ähnlich waren. Hinsichtlich der dargestellten Charaktere fällt auf, dass es prinzipiell nur Negativgestalten gab und dass Rollenklischees mit positiver Bewertung praktisch völlig fehlten. Am weitaus häufigsten erwähnen die Quellen vor 1500 den Teufel, der in vielen Fastnachten leibhaftig in Erscheinung trat und sein Unwesen trieb. Ihm quasi benachbart war der Wilde Mann, ebenfalls eine unheimliche Figur, von der sich die Volksphantasie stets hatte anregen lassen. Weniger Schaudern, aber umso mehr Spottgelächter rief das alte Weib hervor, zumal es als Fastnachtsgestalt durchweg von Männern verkörpert wurde. Reichlich Stoff boten auch die sozial Verachteten. Unter ihnen musste in erster Linie der Bauer herhalten, dessen sprichwörtliche Tölpelhaftigkeit für städtische Akteure vielerlei Möglichkeiten eröffnete, den Normenkodex des Alltags zu durchbrechen. Was die Archivalien außerdem an Figuren nennen, sind Zigeuner, Mohren, Türken und Juden – Vertreter gesellschaftlicher Randgruppen, die dem christlichen Bild nicht entsprachen. Einen weiteren wichtigen Akzent setzten schließlich die Tierverkleidungen, unter denen uns vor allem der Bär schon früh relativ häufig begegnet. Aber auch Böcke, Schweine, Affen, Störche und andere mehr sind nachweisbar, wenngleich es sich dabei um seltenere Maskengestalten handelt. Trotzdem ist es bezeichnend, dass fast alle aufgeführten Tiere eines gemeinsam haben: In der spätmittelalterlichen Lasterlehre galt jedes von ihnen als Verkörperung einer ganz bestimmten Sünde (vgl. Mezger 1999, S.11f).
Kritik von Seiten der Kirche an allzu großer Ausgelassenheit der Menschen in den Tagen vor Aschermittwoch hatte es schon immer gegeben. Dieses scheint sich im 15. Jahrhundert allerdings rasch verdichtet zu haben, wie eine Entwicklung zeigt, die man schlagwortartig als Diabolisierungsprozess bezeichnen könnte. Während nämlich der Festtermin Fastnacht an sich von den Theologen anfangs noch weitgehend wertneutral gesehen wurde, trat an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit eine regelrechte „Verteufelung“ ein.
Dieser tiefgreifende Veränderungsprozess in der Bewertung der tollen Tage aus theologischer Sicht hatte deutliche Auswirkungen auf das äußere Erscheinungsbild der Fastnacht. Die bemerkenswerteste Konsequenz des neuen kirchlichen Ansatzes einer moralisierenden Brauchauslegung lag zweifellos darin, dass zeitlich exakt parallel zu seiner allmählichen Durchsetzung vermehrt eine Gestalt in der Fastnacht aufzutreten begann, die bald deren eigentliche Zentralfigur wurde: der Narr. Der Narr hatte ursprünglich nichts mit der Fastnacht zu tun. Narrheit war ihrem eigentlichen Sinne nach gleichzusetzen mit Geistesblindheit, Ignoranz und Gottesleugnertum, ja sie stand sogar für Erbsünde schlechthin. Da nun die Fastnacht nach Ansicht der Theologen ebenfalls nichts anderes als die zeitlich befristete Demonstration einer gottfernen Welt war, drängte sich als deren entscheidende Integrationsfigur und wichtigste Spielrolle die Gestalt des Narren geradezu auf. In der Tat nahmen Standardnarren mit Schellen und Eselsohren während der tollen Tage vom Ende des 15. Jahrhunderts an immer mehr zu; und nach und nach wurde der zusammengesetzte Begriff „Fastnachtsnarr“ sogar zur Generalbezeichnung für sämtliche fastnächtlichen Masken und Kostümträger gleich welcher Art (vgl. Mezger 1999, S.14).
In katholischen Städten und Regionen wird schon seit jeher und bis heute auch Fasnacht gefeiert, in protestantischen dagegen nicht. Wie kann man das erklären?
Die Reformatoren konnten mit dem von der katholischen Kirche geduldeten „Teufelszeug“ der Fasnacht nichts anfangen und haben diesen Brauch deshalb in ihrem Einflussbereich abgeschafft. Einzige Ausnahme ist Basel, wo das nicht gelungen ist. Dort feierte man die Fasnacht weiter und behielt auch den alten Fasnachtstermin nach dem Sonntag Invocavit bei.
Die ältere Forschung deutet Fasnacht als Brauchtum, in dem der Winter ausgetrieben und das Frühjahr begrüßt wird. Diese Deutung hört man heute kaum mehr.
Die neuere Forschung hat überzeugend nachgewiesen, dass die Fasnacht kein wildes Austreiben ist, sondern eben in der katholischen Tradition wurzelt, die erlaubte, dass vor der Fastenzeit noch einmal eine Gegenwelt gespielt wurde. Es ist allerdings nicht ganz einfach, das den Brauchtumsträgern zu vermitteln. Man hört immer wieder von der Winteraustreibung, auch Kommentatoren sprechen immer noch davon.
Wie sah das im Einzelnen aus? Gab es bestimmte Narrentypen?
Die Akteure dieser Manifestation einer verkehrten, diabolischen Welt kleideten sich entsprechend. Die Fasnacht wurde zur Schau von Negativgestalten. Es tummelten sich Teufel und wilde Leute, Bauerntölpel und heidnische Exoten wie Türken und Mohren – parallel dazu entwickelte es sich der Typus des Narren mit Eselsohrenkappe, Schellen, Narrenzepter, Spiegeln, Hahnenfedern und Fuchsschwänzen, der zum Inbegriff für alle fasnächtlichen Maskenträger wurde. All dies gibt es ja auch heute noch an Fasnacht, wenn auch den Trägern kaum mehr bewusst ist, woher das alles kommt.
Haben diese historischen Bezüge heute überhaupt noch eine Bedeutung?
Eine große Bedeutung sicher nicht mehr. Weder der Nachvollzug von Winteraustreibungs-Riten noch die Aufführung eines mittelalterlichen Teufelsspiels hält die Fasnacht heute am Leben. Die spielerische Umkehr der normalen Verhältnisse findet allerdings auch heute noch statt. Die Narren stürmen die Rathäuser und die Schulen, sie parodieren und kritisieren die Obrigkeit und sie stellen sogar Politiker vor Narrengerichte. Die stärksten Antriebskräfte für die Fasnacht liegen in der menschlichen Natur begründet. Dazu gehört die von jedem traditionellen Bezug unabhängige Lust, sich zu verkleiden und zu maskieren, Rollen zu spielen, vorübergehend aus den Zwängen des Alltags auszubrechen, Bindungen zu lockern, Spannungen abzubauen, spielerisch Wunschträume zu realisieren, über sich und andere zu lachen.
Literaturnachweise zu Fastnacht:
Mezger, Werner, Das große Buch der schwäbisch-alemannischen Fasnet, Theiss Verlag Stuttgart, 1999
Mezger, Werner, Narrenidee und Fastnachtsbrauch, Universitätsverlag Konstanz, 1991
Berner, Herbert, Hoorig Bär und Blätzlihansel; In: Beiträge zur Singener Geschichte Band VI, Konstanz, 1985
Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, Zur Geschichte der organisierten Fastnacht, Dold Verlag, 1999