Wer war Popolius Maier - Burgvogt auf Hohenkrähen?

Gesicherte historische Erkenntnisse sind nicht möglich, weil es keinerlei schriftlichen Dokumente aus jener Zeit gibt, in denen ein Popolius Maier erwähnt ist. Der Hauptzeuge, dass es diesen Popolius wirklich gegeben hat, ist das Poppelebild, das heute im Schloss von Schlatt u. Kr. hängt. Dieses Bild ist eine im Jahre 1665 angefertigte Kopie eines Bildes, das seinerseits im Jahre 1430 gemalt ist. Die Form des Helmes, den Popolius auf dem Bild trägt, entwickelte sich historisch gesehen um die Mitte des 14. Jahrhunderts und hielt sich bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Unser Burgvogt ist also, wenn man von diesem Bild ausgeht, in den Anfang des 15. Jahrhunderts zu datieren, in die Zeit des vollen wirtschaftlichen Niederganges des Friedinger Geschlechts auf Hohenkrähen.

Die Namensbeisetzungen Maier und Burgvogt weisen auf die zwei Ämter hin, die der Popolius zu verwalten hatte. Die Lehensträger einer Burg und der dazugehörenden Höfe und Dörfer waren infolge ihrer vielfältigen Verpflichtungen dem Lehensherrn gegenüber zumeist vom Herrschaftssitz abwesend. Um die Burg aber jederzeit verteidigungsbereit zu halten, übergaben die Lehensträger diese Aufgabe einem bewährten, waffenkundigen Stellvertreter, eben dem Burgvogt. Wenn dieser Burgvogt zugleich mitbeauftragt war, auch den zur Burg gehörenden Maierhof zu verwalten, die Gefälle einzutreiben und die Aufbietung der Frondienste zu leiten, dann war er Burgvogt und Maier zugleich. Eine große Macht war ihm in die Hand gegeben, und nicht selten, das beweisen historisch belegte Vorfälle, stieg diese dem Amtsträger in den Kopf.

Auch unser Popolius muss sich entsprechend verhalten haben, so dass noch lange nach seinem Tode die Menschen sich von ihm die Geschichten erzählten, die wir heute als die Sagen vom Poppele kennen.

nach: Albert Riesterer, „Vast Popolius Maier, Burgvogt auf Krayen, hat er wirklich gelebt?“ in: Fasnet im Hegau. Hrgs. von Herbert Berner. Verein für Geschichte e.V. Singen (Htwl.) 1959, S. 72ff

Popolius Maier - Gemälde im Schloss zu Schatt unter Krähen

rechts steht: Vast (oder Dast) Popolius Maier voget uf Kraiyen 1430
links steht: Dieses Conterfey ist nach dem gar sehr corrumpierten Originale treulich copieret 1665

Warum Popolius als Geist umgehen muss?

Der Vogt auf Krähen, Popolius Mayer, war klepperdürr wie ein Rebstecken und ein böser Raufbold und Leuteschinder obendrein. Wehe dem, der mit ihm anbandelte; er wurde kurzerhand aus dem Wege geschafft oder musste jahrelang in den düsteren Kerkern der Burg schmachten. So klang immerfort Jammern und Wehklagen durch die Verließe, deren meterdicke Mauern keinen Laut nach außen dringen ließen. Und doch wusste man im ganzen Land von den Greueltaten des Burgvogts. Kein Wunder, dass sich eines Tages der Abt eines schwäbischen Klosters aufmachte, um da oben auf der Burg nach dem Rechten zu sehen. Nur widerwillig ließ Popolius den unerwünschten Gast ein. Als dieser den Burgvogt wegen seiner Untaten zur Rede stellte, lud dieser ihn mit bösen Lächeln ein, die Verließe doch selber zu besichtigen und zu schauen, ob es da unten wirklich so schrecklich sei. Nur mit Mühe und Not konnte der wohlbeleibte Abt die steile Felsentreppe hinuntersteigen. Als er schwer atmend beim untersten Kerkerloch angekommen war, schob ihn der Burgvogt kurzerhand in das modrige Dunkel hinein und schlug krachend die eisenbeschlagene Tür hinter ihm zu. Hier sollte der Abt bleiben, bis er bei Wasser und Brot so zusammengeschmolzen wäre, dass man ihn durch ein Nadelöhr ziehen könne. Sieben Jahre und 40 Tage schmachtete er nun, ehe ihn der Vogt wieder frei ließ.

In seinem Kloster angelangt, sann der Abt unermüdlich auf Rache. Endlich entdeckte er in der Bibliothek des Klosters einen längst vergessenen Folianten, ein Zauberbuch, das die wirksamsten Flüche enthielt. Begleitet von geheimnisvollen Zeremonien verfluchte der Ergrimmte also seinen Peiniger: „Wenn deine Burg zerstört ist und von ihr nur noch Ruinen zum Himmel aufragen, sollst du siebenmal 40 Jahre ruhelos zwischen den öden Mauern hausen, rastlos den Hegau durchstreifen und als Kobold die Menschen necken, auf dass sie dir stets aufs neue fluchen!”

Diese Verwünschung war so kräftig, dass der Vogt alsbald vom Pferd stürzte und das Genick brach. Seitdem muss der Poppele sogar noch über die vorbestimmte Zeit hinaus als Geist umgehen.

Vorstehende Sage wird auch noch in einer anderen Variante erzählt:

Einst bat ein noch zu später Abendstunde am Hohenkrähen vorbeifahrender Abt den Burgvogt Popolius um Nachtquartier. Der Burgvogt, der gerne wieder einmal einen Zechgenossen bei sich sah, willigte mit Freuden ein. Eifrig kreiste der Humpen beim üppigen Nachtmahl. Der gutgeratene Hegauer Wein stieg gar bald den beiden Männern zu Kopf, so daß sie einander zu necken begannen. Obwohl Popolius klein und von schmächtiger Gestalt war, brüstete er sich doch so lange mit seiner gewaltigen Stärke, bis es dem Abt zu bunt wurde und er scherzend meinte, der Burgvogt solle den Mund nicht so voll nehmen. Er gleiche eher dem dürren Knochenmann, mit dem man Kinder schrecke, als einem gewaltigen Hünen. So einen fadendünnen Kerl wie er könne man durch ein Nadelöhr ziehen. Alles konnte der Burgvogt ertragen, nur nicht, wenn man ihn an seine körperlichen Mängel erinnerte. Ober das harmlos gemeinte Scherzwort aufs äußerste ergrimmt, ließ Popolius seinen wohlbeleibten Gast in das unterste Burgverließ werfen und schwor, ihn solange dort zu belassen, bis der Schmerbauch geschmolzen und sein Gast selber so dünn geworden sei, daß er durch ein Nadelöhr ginge.
Popolius hielt Wort, und erst nach vielen Jahren durfte der Abt wieder in sein Kloster zurückkehren. Dort entdeckte er zwischen alten Folianten ein Zauberbuch, mittels dessen er seinen Peiniger verwünschte, so daß er vom Pferd stürzte, das Genick brach und seither als Geist umgehen muß.

(Nach Bernhard Baader, neu gesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden, 1859)

Wie man sich in Engen erzählte, war der Poppele eigentlich ein Graf, der auf dem mächtigen Felskegel des Hohentwiel seinen Sitz hatte. Dazu besaß er aber auch noch Lustschlösser auf dem Hohenkrähen und auf dem Hohberg. Obwohl er also selber reich begütert war, wollte er auch noch obendrein seinen Bruder beerben. So lauerte er diesem auf und erschoß ihn hinterrücks mit einem Pfeil. Als die Tat ruchbar wurde und der Graf vor Gericht kam, verlegte er sich erst aufs Leugnen. Als man ihn aber immer mehr in die Enge trieb, fing er an zu fluchen und schrie „Wenn das, was ich sage, nicht die lautere Wahrheit ist, will Ich nach meinem Tode als Geist umgehen.“ Und so muß der Meineidige bis zum heutigen Tage geistern.
Vor allem regt sich der Poppele dann, wenn ein Krieg bevorsteht. So machte er alle Feldzüge Napoleons mit. Als aber das Jahr 1813 gekommen war, kehrte er plötzlich in den Hegau zurück und erklärte, er tue jetzt nicht mehr mit, weil Napoleons Heer bald unterliege.
Erst 1848, kurz vor Ausbruch der Unruhen, hat sich Poppele in einem mit vier Rappen bespannten Wagen wieder sehen lassen.

(Ernst Heinrich Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852)

Der Poppele und die Eierfrau

Drückende Hitze brütete über dem Hegau, als die Eierfrau von Rielasingen mit der schweren Krätze auf dem Rücken nach Engen zum Markt wanderte.
Sie war nicht gerade die Jüngste mehr, und wenn man selber fast zwei Zentner wiegt, dann drückt solch ein Korb, der bis oben hin mit Eiern vollgepackt ist, doppelt schwer. So war die Frau froh, als sie am Fuße des Hohenkrähen einen Baumstumpf am Wegrand erblickte, der im Schatten eines Felsens dastand, als habe er nur auf sie gewartet. Sie würde schon noch recht auf den Markt kommen, sagte sich die Alte. Und während sie erwog, wieviel sie wohl für die Eier lösen würde, ließ sie sich, ohne den Korb abzusetzen, keuchend und den Schweiß von der Stirn wischend auf dem Baumstumpf nieder.
Aber was war das? Kaum hatte sie sich hingesetzt, schien es, als zöge ihr jemand den bequemen Sitz einfach unter dem wohlgepolsterten Hinterteil weg. Und schon lag sie im Gras und streckte die rotbestrümpften Beine gen Himmel.
Mochte der Rücken von dem unsanften Sturz auch schmerzen, viel schlimmer war, daß die Eier aus der Krätze herausgekullert waren und weitverstreut herumlagen.
„Die schönen Eier!“ entfuhr es der Bäuerin, als sie daran dachte, daß der ganze erhoffte Gewinn dahin war, und sie zum Schaden schließlich noch den Spott haben sollte, wenn ihr Mißgeschick bekannt wurde.
Vorsichtig hob sie eines der Eier auf und staunte nicht wenig, daß es nicht den kleinsten Sprung hatte. Hastig griff sie nach dem nächsten; auch dieses war unversehrt. Während sie Ei um Ei einsammelte und es nicht fassen konnte, daß eines so unbeschä­digt wie das andere war, hörte sie plötzlich im nahen Gebüsch ein leises Kichern.
Jetzt wußte sie auf einmal, daß der Poppele, der nicht schaden, sondern nur necken wollte, sich in den Baumstumpf verwandelt und sie so zum Besten gehalten hatte.
(Baader)

Poppele als hilfsbereiter Knecht

Auf dem Bruderhof war der Burggeist Poppele ein gern gesehener Mitbewohner, tat er doch alles, was ihm aufgetragen wurde, pünktlich und ohne Murren. Er holte bereit­willig das Wasser vom Brunnen, schichtete das Holz auf, fütterte das Vieh, warf die Garben vom Wagen, putzte die Pferde und spaltete Holz. Man durfte jedoch nie ver­gessen, jedem Auftrag hinzuzufügen: „lt ze litzel und it ze viel!“ (Nicht zu wenig und nicht zu viel.)
Zum Lohne mußte man für den hilfsbereiten Geist tagtäglich beim Essen ein Ge­deck mit auflegen und sagen: „Poppele, iß auch mit“. Vergaß man den Spruch oder die Aufforderung, mitzuessen, dann ertrank die Küche im herbeigeschleppten Wasser, der aufgeschichtete Holzstoß fiel um, das Vieh erstickte im Futter, und die Garben wirbelten nur so durcheinander.
Fuhr man mit dem Wagen aus, mußte man den Geist auffordern, mitzufahren „Poppele, fahr auch mit!“ Dann setzte sich dieser auf das hinten herausstehende Wagenbrett, die „Schnättere“, und fuhr mit ins Feld. Wehe aber, hatte man den Geist nicht zur Mitfahrt eingeladen, dann brach sicher ein Rad, oder der hochgeladene Wagen stürzte um.
Ein alter Brauch war es auch, im Sommer vor dem Ausfahren laut zu rufen „Mer wendt selber anspannen!», sonst war Poppele gleich bei der Hand, die Ochsen und Pferde verkehrt einzuspannen.
(Wanderungen am Bodensee)

Die naschhafte Magd

Der Bastian, ein Bauer am Hohenkrähen, konnte es sich nicht erklären, daß die Bleß die Kuh, welche sein ganzer Stolz war, immer weniger Milch gab, seitdem die neue Jungmagd ins Haus gekommen war. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Wie verwundert war er aber, als die Magd, die auf dem Hofe wie das eigene Kind gehalten wurde, schon nach vierzehn Tagen den Dienst aufkündigte.
Ob sie es denn nicht gut bei ihnen habe, meinte der Bauer. Doch, doch, stotterte die Magd hervor. Ob ihr denn die Arbeit zu schwer sei, oder ob es gar am Essen läge – auf all diese Fragen wußte die Magd nur zu sagen, daran läge es nicht. Als der Bauer immer mehr in sie drang, würgte sie endlich verlegen hervor „S‘ wär alles schön und recht bei Euch, Bauer, aber daß mir einer, wenn ich Eure Bleß melken tu, allemal pitsch und patsch ein paar saftige Backpfeifen verpaßt, mag mir nie und nimmer behagen.
„Backpfeifen“, meinte der Bauer erstaunt, „die kriegt man nit so mir nix dir nix; da hast sicher was Unrechts getan. Und wenn Du den nit g’sehn hast, der Dich schlug, kann’s kein anderer als der Poppele gewesen sein.“
Schamrot gestand die Magd endlich Sie trinke halt fürs Leben gern frischgemolkene Milch, und da habe sie ab und zu beim Melken ein Schlückle genommen.
„Wird schon ein kräftiger Schluck gewesen sein“, meinte der Bauer, der daran dachte, daß der Melkeimer seit geraumer Zeit nur noch halb voll war, „sonst hätt‘ der Poppele Dich nit bestraft. Wegen dem brauchst aber den Dienst nit aufzukündi­gen. Laß das Milchnaschen, und der Poppele laßt Dich in Frieden!“
Und so war’s auch. Die Magd, die ihren Durst von jetzt an mit Most löschte, hatte künftig ihre Ruhe.

(Ernst Heinrich Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852)

Der versiegte Wein

Eine arme Frau aus Schlatt, die ein Kindlein erwartete, war dabei, draußen im Feld für ihre einzige Ziege Futter zu schneiden. Während sie sich stöhnend bückte und ihre Sichel durch das Gras sausen ließ, dachte sie an ihre nahe Niederkunft und wie es ihr wohl dabei erginge; denn sicherlich vertränke ihr Mann noch den letzten Heller, so daß sie sich keine Stärkung gönnen könne. So bat sie inbrünstig, der Poppele möge sich doch ihrer erbarmen und ihr ein Fäßlein guten Weines zukommen lassen. Kaum hatte sie den Wunsch geäußert, als ein Jägersmann des Weges kam, welcher der armen Frau auftrug, flugs nach Hause zu gehen und das leere, unter der Stiege liegende Fäß­lein zu holen. Die Frau tat, wie ihr geheißen. Und siehe da, der Jäger, der kein anderer als der Poppele selber war, füllte das Fäßlein mit köstlichem Wein, verbot aber der Frau, ihrem trunksüchtigen Manne auch nur einen Tropfen davon zu geben. Tue sie es trotzdem, sei es mit dem Segen zu Ende.
Freudestrahlend kehrte die Frau nach Hause zurück und tat sich an dem herrlichen Tropfen jeden Tag gütlich. Um auch andere Arme an ihrem Glück teilnehmen zu lassen, ließ sie jeden, der darum bat, reichlich von dem Wein kosten, nur ihren Mann nicht. Als dieser aber erst drohte, und, nachdem dies nicht fruchtete, sich aufs Bitten und Schmeicheln verlegte, wurde sie schließlich weiß und meinte: Ein Krüglein dürfe er sich schon holen, das merke der Poppele nicht. Aber weit gefehlt! Als nämlich der
Mann, das blakende Kerzenlicht in der Hand, die Kellertreppe hinuntergestiegen war und den Faßhahn aufdrehen wollte, stand plötzlich der Poppele vor ihm und gab ihm eine solche Ohrfeige, daß der Krug zu Boden fiel und die Kerze erlosch. Dabei kam es aus dem Dunkel mit Grabesstimme: „Nicht für dich, du Säufer und Verschwen­der, war dieser Wein gemünzt, sondern für deine arme Frau. Nun wird auch sie wieder dürsten müssen!“
Als der Mann zitternd seiner Frau gestand, was er erlebt hatte, stiegen beide noch­mals in den Keller hinunter, aber wie sehr sie auch an dem Faßhahn drehten und das Fäßlein sattelten, es gab fortan keinen Tropfen mehr her.
(B. Baader, 1859)

Poppele verwarnt ein Liebespaar

Der stets zum Necken aufgelegte Burggeist Poppele hatte es auch auf Liebespaare abgesehen. Gar oft freute er sich diebisch, wenn er ihre Eifersucht entfachen konnte. Für zwei Verlobte aber hatte er sich einmal einen ganz besonderen Scherz ausgedacht.
Saßen einst die beiden eng umschlangen in den Ruinen der Burg Hohen­krähen und sahen vor lauter Glück nicht, daß die Sonne schon lange untergegangen und drunten im Tale bereits die Lichtlein aufflammten. Da plötzlich stand vor ihnen ein gespenstischer Reiter, bleich, hager, ein klapperndes Gerippe, auf schneeweißem Rosse. Das Mädchen schrie auf und barg angstvoll ihr Antlitz an der Schulter des Verlobten. Dieser versuchte, seine Braut zu trösten und meinte „Das ist sicher nur der Burggeist Poppele, der uns ein wenig necken will“. Kaum hatte er das Wort ge­sprochen, als das Gespenst mahnend und warnend seine Knochenhand hob und mit hohler Stimme sprach
„Ja, ich bin der Poppele von Krähen, und euch beiden, die ihr, wie mir scheint, uner­sättlich seid mit Herzen und Küssen, will ich gerne eine gute Lehre fürs Leben geben. Beherzigt auch ihr meinen sattsam bekannten Wahlspruch! Denn was für die Arbeit Geltung hat, gilt genauso auch in der Liebe Nit z’litzel und nit z’viel“! – Sprachs und war unter dem verfallenen Torbogen verschwunden.
(Nach Franz Stoll, Badische Heimat, „Singen und der Hegau“ 1930)

Das Geschenk des Ritters

Einst kam ein armer Gerbergesell am Hohenkrähen vorüber. Als er gerade über die Aach hinüber wollte, kam ihm ein Ritter entgegen, der einen mächtigen Vollbart trug. Der Wanderbursch, dem vor Hunger der Magen knurrte, zog ehrfurchtsvoll seinen Hut und ging den Reitersmann um eine milde Gabe an. Statt nach seiner Geldkatze zu greifen, zog der Reiter einen großen hölzernen Kegel aus seinem Wams, reichte diesen dem Bedürftigen und ritt seines Weges weiter.
Der fahrende Gesell besah verdutzt das seltsame Geschenk, drehte und wendete es nach allen Seiten, und als er daran nichts fand, womit er seinen Hunger stillen konnte, warf er den Kegel verärgert in den Straßengraben. Nicht lange aber, da reute ihn die voreilige Tat, meinte er doch, für den Kegel wenigstens ein ordentliches Stück Brot erhalten zu können.
So lief er eilends zurück und war nicht wenig erfreut, den Kegel wiederzufinden. Er verstaute ihn im Felleisen und weiter ging’s nach Hausen, wo der Wanderbursch im nächstbesten Wirtshaus Halt machte und sein Felleisen mitsamt seinem seltsamen In­halt einfach auf die Ofenbank legte. Der Wirt, den diese Nachlässigkeit ärgerte, packte ein wenig unwillig das Felleisen, um es an einen Wandhaken zu hängen. Wie sehr er sich aber mühte, er vermochte nicht, den Wandersack von der Bank zu heben! Was er denn zum Teufel da drinnen habe, herrschte der Wirt den Wanderburschen an. Ein paar lumpige Kleider oder schimmliges Brot könne doch nicht so schwer wiegen? Der Gerbergeselle gab zurück, er habe keines von beiden in seinem Felleisen, sondern nur das Almosen, das ihm soeben ein Ritter an der Aachbrücke gegeben habe. Ein spaßiges Almosen sei es allerdings, wie der Wirt sicher noch keines gesehen habe. Man könne es weder essen noch so ohne weiteres zu Geld machen, und doch stünde so ein Ding gleich neben dem König. „Neben dem König?“ fragte neugierig der Wirt? Er solle das kuriose Ding doch einmal zeigen. Der Gerbergesell griff in das Felleisen, um den Kegel, der im Spiel ja nahe beim König steht, hervorzuziehen, aber das Ding, das schwerer wie Blei wog, entfiel seiner Hand und schlug polternd ein tiefes Loch in den Gastzimmerboden. Als sich die beiden Männer nach dem Kegel bückten, sahen sie er­staunt, daß er aus purem Golde war. Sofort wollte der Wirt dem Burschen das wert­volle Stück abhandeln. Der aber wußte, daß solch ein goldener Kegel mehr wert war als das ganze Wirtshaus samt den Fässern im Keller und den Pferden und Feldern. Nein, solch ein Stück konnte nur ein Fürst mit klingender Münze aufwiegen. Und so geschah es auch.
Bald wurde die Geschichte im ganzen Land bekannt. Es ist aber verbrieft, daß kein anderer dem Wanderburschen den Kegel geschenkt hatte, als der Burggeist Poppele.
(Hanns Bächtold, Basel)

Poppele und die Äbtissin

War der Hegauwein gut geraten, geriet der Poppele, der einen guten Tropfen nicht verachtete, außer Rand und Band. Dann machte er mit seinen Neckereien nicht einmal vor Geistlichen oder Nonnen halt. Das sollte auch die Äbtissin Mechthild von Amten­hausen zu spüren bekommen, als sie einst auf ihrem Rebgut zu Öhningen nach dem Rechten sehen wollte und dabei dem Poppele ins Gehege kam.
Gerade rollte ihr Gefährt unterhalb des Krähens auf topfebener Straße gemächlich dahin, als es plötzlich einen Ruck tat und der Wagen stehen blieb. Da half kein Hüst und Hott, die Pferde standen wie angewurzelt. Da war sicher der Poppele mit im Spiel. Der Kutscher, der wußte, daß man mit einem kräftigen den Zauber bre­chen könne, wollte zu diesem Mittel greifen. Aber die fromme Frau ließ so etwas Lästerliches nicht zu.
Als jedoch Stunde um Stunde verrann und der Wagen nicht wankte noch wich, mußte die fromme Frau zu guter Letzt doch ihrem Grundsatz untreu werden. Mit einem Seufzer rief sie schließlich dem Kutscher zu „Nu, Seppele, so fluch halt in Gottes Namen!“
Der Fluch, den der verärgerte Kutscher sogleich wie ein Donnerwetter nieder­prasseln ließ, muß besonders kräftig gewesen sein, denn das Gefährt setzte sich nicht nur augenblicklich in Bewegung, sondern war auch im Nu drüben in Öhningen.
Kein Wunder, wenn der Poppele sogar in eigener Person den Wagen schieben half.

(Ernst Heinrich Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852)

Poppele kegelt

Jeden Sonntag, nachts 12 Uhr, trifft sich der Poppele mit vielen Rittern in einem der unterirdischen Gewölbe der Ruine Hohenkrähen, um dort zu kegeln. Auch wäh­rend des Sonntagsgottesdienstes will man den Burggeist schon beim Kegelspiel ge­sehen haben.
So kamen an einem Sonntagmorgen zwei Handwerksburschen auf den Krähen und waren nicht wenig erstaunt, als sie im Burggarten den Poppele sahen, wie er für sich allein immer wieder versuchte, die aufgesetzten Kegel zu treffen. Als der Burg­geist die Burschen sah, lud er sie ein, mit ihm ein Spielchen zu machen.
Die beiden ließen sich nicht lange bitten, glaubten sie doch, es ohne weiteres mit einem so schlechten Kegler aufnehmen zu können. Und anfangs gewannen sie denn auch ein paar Gulden, dann aber schob der Poppele ein paarmal hintereinander alle Neune, so daß den Burschen Hören und Sehen verging und sie im Nu nicht nur ihren Gewinn, sondern obendrein auch das bißchen Reisegeld bis auf den letzten Kreuzer los waren.
So zogen sie denn schließlich betrübt von dannen. Als nach einer kleinen Weile der eine von den beiden in seinem Felleisen nach einem Stock Brot suchte, fühlte er plötzlich eine Kegelkugel zwischen den Fingern. Da hat sich mein Kamerad einen schlechten Scherz erlaubt, dachte er und warf, um nicht zum Schaden auch noch den Spott zu haben, die Kugel heimlich fort. Vor dem Dorfe Mühlhausen nahm auch der andere seinen Ranzen ab und war nicht wenig erstaunt, als er darin zuoberst einen Kegel fand, der ganz aus funkelndem Golde war. Hei, wie die beiden sich über den Fund freuten! Gleich sollte der Kegel zu Geld gemacht werden. Aber niemand im Dorf konnte eine solche Kostbarkeit bezahlen. Endlich ließ sich der reichste Bauer im Ort ein Stück von dem Kegel absägen und legte dafür 2000 Gulden auf den Tisch. Jetzt ging auch dem anderen Gesellen ein Licht auf. Er rannte flugs zurück, um nach der weggeworfenen Kegelkugel zu suchen. Aber sie war spurlos verschwunden. Die Burschen zogen nun weiter nach Schaffhausen, wo man ihnen den Rest des Ke­gels für ein ganzes Vermögen abkaufte.
Den Poppele aber hat man oft noch kegeln sehen. Er hatte aber fortan nur acht Kegel und eine einzige Kugel.

(Ernst Heinrich Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852)

Poppele und die Holzfäller

Zwei Männer aus Wiesholz hatten im dichten Tann einen Baum geschlagen. Es war kein leichtes Stück Arbeit, den schweren Pflöckling über Stock und Stein zu schleifen. Als es trotz ,,Ho‑Ruck“ nicht mehr weitergehen wollte, machten die beiden Holzhauer ihrem Ärger Luft und fluchten, daß sich die Bäume bogen. Da stob aus dem Unterholz ein schneeweißes Pferd, das auf seinem Rücken einen Reiter mit wallendem Federhut trug. Die Männer waren über die seltsame Erscheinung nicht wenig erschrocken und wollen auf und davon. Der Reiter aber verlegte ihnen den Weg und schwang drohend seine Peitsche. Jetzt erst sahen die Männer, daß der Fremde
eine Perlenkette um den Hals trug, von der ein seltsames Leuchten ausging, das sich ansah wie Wetterleuchten. Jetzt gab es kein Halten mehr für die beiden Holzknechte. Sie ließen den Pflöckling liegen und stoben davon, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her. Nicht lange, da begann jener, der am kräftigsten geflucht hatte, zu kränkeln. In seinen Fieberträumen sprach er immer von der Perlenkette, einem weißen Roß und dem seltsamen Reiter. Nach drei Tagen war er tot.
(Mündlich: Albert Klett, Rielasingen)

Poppele und der Müller

Ein Müller aus Radolfzell hatte auf dem Möhringer Markt seine Frucht so gut verkauft, daß er nun mit wohlgefüllter Geldkatze nach Hause fahren konnte. Als er in die Nähe des Hohenkrähen gekommen war, trat dem Gefährt plötzlich ein ärmlich gekleideter Mann in den Weg und bat den hoch auf dem Bock thronenden Müller, bis Singen mitfahren zu dürfen.
„Steig‘ halt auf“, meinte der Müller und trieb mit einem Peitschenhieb sein Röß­lein an. Als er aber während der Fahrt einmal zufällig nach seiner Geldkatze griff, stellte er erschrocken fest, daß diese bedenklich leichter geworden war. Sollte der Fremde etwa. . .? durchfahr es den Müller. Ehe er aber noch den Fahrgast zur Rede stellen konnte, rechtfertigte sich dieser „Ihr sucht Euer Geld, und glaubt, ich hätt’s gestohlen? Weit gefehlt! Schaut lieber einmal zurück auf den Weg, vielleicht findet Ihr dort Eure Taler wieder!“
Als der Müller sich ungläubig umwandte, sah er im Mondlicht tatsächlich einen Taler aufblinken. Nun blieb dem wohlgenährten Manne, der lieber bequem nach Hause gefahren wäre, nichts anderes übrig, als vom Wagen zu steigen und den Weg noch einmal zu Fuß zurückzulegen.
Und siehe da, so alle zwanzig Schritte funkelte etwas im Straßenstaub auf es waren die verlorenen Taler. Während sich der Müller wieder und wieder bückte, rief ihm der geheimnisvolle Fahrgast von ferne nach: „Gute Geschäfte und eine ge­ruhsame Nacht!“ und war spurlos verschwunden.
Jetzt erst merkte der Müller, daß er es mit keinem anderen als dem Poppele zu tun gehabt hatte. Schimpfend wanderte er zurück und kam endlich, nachdem er den letzten Taler aufgelesen hatte, totmüde wieder an die Stelle, an der er dem Burggeist begegnet war.
(Schönhuth, Burgen Badens)

Poppele zieht aus

Bei einem Bauern gefiel es Poppele so gut, daß er in dessen Haus lange Zeit sein Standquartier aufschlug, von dem aus er den ganzen Hegau unsicher machte.
Aber, o weh, eines Tages mußte dieses Haus abgebrochen werden. Als man das Gebälk auf einen Wagen lud und es fortfuhr, fragte der Bauer den Knech:
„Haben wir jetzt auch alles?“
„Nein“, war die Antwort, „den Poppele haben wir vergessen!“
Aber da rief es laut vom Wagen herunter „Nein, nein, ich bin auch da!“

(Ernst Heinrich Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852)

Poppele und der Glaser

Einem Mann, seines Zeichens Glaser, der es mit der Ehrlichkeit nicht allzu genau nahm, wußte der Poppele eine besonders nachhaltige Lektion zu erteilen.
Hatte da einst der Glasermeister in der Rielasingen Kirche neue Fenster einsetzen müssen. Dabei war eine Menge Scheiben übrig geblieben.
Nicht schlecht, dachte der schlaue Mann. Warum soll ich diese nicht der Kirche in Rechnung stellen und sie hinterher noch einmal mit gutem Nutzen verkaufen? So lud er kurzerhand das Glas in seine Krätze und wanderte, sich ins Fäustchen lachend, am Hohenkrähen entlang seiner Behausung zu.
Allmählich aber begann die Last so zu drücken, daß der Glaser wohl oder übel ein wenig verschnaufen mußte. Da stand wie gerufen ein Baumstumpf am Wegrand. Kaum hatte sich der Mann, der die Krätze nicht erst abgenommen hatte, auf den Strunk niedergesetzt, machte dieser einen Satz, und der Glaser lag mitsamt den Glasscheiben, die samt und sonders klirrend zersprangen, am Boden. Der Baumstumpf aber war kein anderer als der Poppele, der dem Glaser klarmachen wollte, daß un­recht Gut niemals gedeiht.

(Ernst Heinrich Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Stuttgart 1852)

Poppele und der Wallfahrer

Einst, als die Gegend beim Arlener Käppele noch eine Wildnis war, kam durch dieses Gebiet ein Pilger aus Schwaben, der gelobt hatte, eine Wallfahrt nach Einsie­deln zu machen. Während er sich mühsam seinen Weg durch den dunklen Tann suchte, kam plötzlich ein Rudel Wildschweine aus dem Dickicht gestürmt, voraus ein gewaltiger Eber mit glühenden Augen und mächtigen Hauern. Auf dem wilden Tier, das geradewegs auf den frommen Pilgersmann losrannte, saß ein seltsamer Reiter mit einem mächtigen Schlapphut und schwang eine Peitsche. Dabei schrie er mit schriller Stimme „Halt ein, halt ein!“
In seiner Todesangst kletterte der wackere Schwabe auf den nächsten Baum und gelobte, eine Kapelle zu erbauen, wenn die Sauen ihn in Frieden ließen und er heil davonkomme. Kaum hatte er das Gelübde getan, war die Wildschweinherde mitsamt dem Reiter verschwunden.
Verstört und um ganzen Körper zitternd kam der Pilger endlich in Ramsen an. Als er dort erzählte, wie es ihm ergangen war, meinten die Bauern, der Reiter auf der Wildsau sei kein anderer als der Poppele gewesen. Nach kurzer Rast pilgerte der Schwabe weiter, allerdings nicht mehr nach Einsiedeln, sondern zum „Großen Herrgotts nach Schaffhausen.
Als er endlich wieder wohlbehalten nach Hause gekommen war, erinnerte er sich seines Gelübdes und stiftete das Arlener Käppele.
Dort sollte bald darauf ein Wunder geschehen, ward doch einem neunjährigen, blinden Mädchen das Augenlicht geschenkt.
(Mündlich: Albert Klett, Rielasingen)

Poppele läßt sich nicht foppen

Ein in Engen beheimateter Schneider fühlte eines abends, als er vom Mähen heim­ging, ein menschliches Bedürfnis. Als er sich an einer Hecke erleichtert hatte, sagte er boshaft: „So, Poppele, das ist für dich!“
Im selben Augenblick stand der ergrimmte Geist vor ihm, packte ihn am Genick und schleifte ihn durch Hecken und Büsche, durch Korn und Dorn, und ließ ihn end­lich mit verschlissenem Wams und zerschundenem Leib am Straßenrand liegen.
Ebenso hat der Poppele manchen, der ihn neckte, von der Brücke, die bei Mühl­hausen über die Aach führt, ins Wasser gestürzt und sich diebisch über seine Rache gefreut.
Auch dem Wirt von Gaienhofen gab der Poppele einst einen gehörigen Denkzettel. Auf dem Engener Bohnenmarkt hatte der Wirt so schlechte Geschäfte gemacht, daß er, um seinen Ärger hinunterzuspülen, ein wenig zu viel vom „Neuen“ getrunken hatte. Als er angeheitert, zusammen mit seinen Zechkumpanen, am Krähen vorbei­kam, rief er im Lebermut zur Burg hinauf: „Poppele, komm, komm!“ und gab dabei seinem Roß die Sporen. Aber da lag er auch schon im Graben. Als ihm einer der Kumpane wieder aufhelfen wollte, schlug auch dieser der Länge nach hin. Der Poppele aber freute sich laut lachend seiner derben Scherze.
(Prof. Künzig, Schwarzwaldsagen)

Poppele und der Fischer von Moos

Auch ein Fischer von Moos am Radolfzeller See sollte den Poppele als Neckgeist kennenlernen. Wenn Nacht über dem See lag oder Baum und Strauch sich unter wallendem Nebel versteckten, klang es oft unheimlich aus dem Dunkel „Hol, hol!“, wie die Leute es rufen, wenn sie übergesetzt sein wollen. Wenn aber der Fischer pflichteifrig an die Fähre eilte, war kein Mensch zu sehen. Dafür aber war das Schifflein losgebunden, und die Ruder trieben weit draußen auf dem Wasser. Im Rohr aber klang es wie schalkhaftes Lachen.
Setzte der Fischer des nachts seine Netze, hörte er es auf einmal draußen auf dem See patschen und klatschen, als wären Hunderte von Fischen im Garn. Ruderte er aber hinaus, fand er die Netze zerrissen, und im Nachtwind kicherte es schelmisch.
Ähnliches geschah auch den Jägern, die in Vollmondnächten auf dem Wasser jagten. Man konnte sicher sein, daß immer dann, wenn sich der Poppele so vermeldete, ein furchtbares Wetter aufkam.
(Lucian Reich, Insel Mainau) 

Poppele auf dem Witthoh

Ein Bauer aus Hattingen, der in Tuttlingen auf dem Viehmarkt einen Wurf junger Sauen gut verkaufen konnte, war noch bis spät in die Nacht hinein im „Rappen“ sitzen geblieben und hatte dort einen gut Teil des Profites durch die Gurgel gejagt. Als er nun endlich wieder seinen Wagen bestieg, um heimwärts zu fahren, war er nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Kein Wunder, daß ihm alsbald die Augen zu­fielen und er selig entschlummerte. Unterdessen aber trabte das Rößlein munter seines Weges, ohne daß es der zügelführenden Hand bedürft hätte. Als das Gefährt aber die steile Staig hinaufkletterte, glaubte das Rößlein, es sei sein gutes Recht, dann und wann einmal ein wenig zu verschnaufen. Da gab es bei jedem Halt: einen kleinen Ruck. Dieser hatte zur Folge, daß der Bauer ein wenig aus dem Gleichgewicht kam, für eine Sekunde die Augen aufschlug, und wieder selig von jungen Sauen und neuem Wein weiterträumte. Auf der Staig angelangt, fiel das Rößlein in einen munteren Trab, um möglichst bald nach Hattingen in seinen Stall zu kommen. Da stand auf ein­mal mitten auf der Straße ein kleines Männlein, vor dem der Gaul pflichtbewußt an­hielt. Flink wie ein Wiesel sprang der Kleine auf den Wagen und löste die Stricke, dann lief er wie ein Seiltänzer auf der Deichsel nach vorne und band das Pferd los, sprang diesem auf den Rücken, nahm die Zügel in die kleinen Fäuste und flüsterte dem Tier ein leises „Hü!“ ins Ohr. Und fort ging’s im Galopp, während der Wagen mit dem schlafenden Bauern stehenblieb, als sei er angewurzelt. Bald waren Roß und Reiter nach Hattingen gekommen, wo das Tier ungeduldig scharrend vor seinem Stall stehen blieb.
Nachdem das Räuschlein sich allmählich verflüchtigt hatte, war es dem Bauern auf seinem Bock kaltgeworden. Fröstelnd erwachte er, und mit einem kräftigen „Hüüü!“ wollte er sein Pferd antreiben. Doch das Wägelchen rührte sich nicht vom Fleck. Mur­rend griff der Bauer zur Peitsche und ließ sie dort niedersausen, wo er den Pferde­rücken vermutete. Der Streich traf aber nur die Deichsel, wobei sich die Peitschen­schnur, sehr zum Arger des Bauern, auch noch um die Stange wickelte. Jetzt erst sah der schlaftrunkene Mann, daß da gar kein Pferd mehr stand. Dafür hörte er es aber schadenfroh hinter einem nahen Gebüsch kichern. Nun wußte er, daß es der Poppele war, der ihm den Streich gespielt hatte. Schimpfend mußte er sich dazu bequemen, sich selber vor den Wagen zu spannen und ihn heimzuziehen. Der Poppele aber lief nebenher, schwang die Peitsche und rief immer wieder: „Hü, Schimmel, hü!“
(Tuttlinger Heimatblätter, Jahrbuch 1958, v. Josef Zepf)

Poppele auf dem Heuberg

In einem. Bauernhause auf dem Heuberg trieb es Poppele so toll, daß dem Bauer zu guter Letzt nichts Übrig blieb, als das Feld zu räumen und aus seinem Haus auszuziehen. So packte er denn seine paar Habseligkeiten auf einen Wagen und fuhr damit fort. Unterwegs fragte er den Knecht: „Haben wir jetzt auch alles?“
„Ja, und mich habt ihr auch!“ rief der Poppele, der auf der „Schättere“ hinten am Wagen saß.
Da packte den Bauern die Wut. Fluchend schlug er, ohne den Geist zu sehen, auf das Wagenbrett los. Der Poppele aber war, von dem Fluchen verscheucht, für immer verschwunden.
(Tuttlinger Heimatblätter)

Der Schatz des Poppele

Eine Bäuerin, die in einem Hof unterhalb des Hohenkrähen beheimatet war, hatte dann und wann von einem Schatze gehört, der in
den Ruinen der Burg versteckt läge. Ein alter Schäfer hatte sogar genaueres erzählt. Der Schatz sei hinter einer schweren Eisentür versteckt. Einmal im Jahre, und zwar in der Heiligen Nacht, wenn die Glocken die Geburt unseres Herrn verkündigen, spränge die Tür auf, und der Schatz liege offen und frei für jeden da, der es wage, um diese Stunde in das Burg­verließ hinabzusteigen. Die Bäuerin, die eine habgierige Frau war, kam fortan von dem Gedanken an den Schatz nicht mehr los. Viel zu langsam vergingen ihr Sommer und Herbst. Als dann der Dezember mit Nebeln und Schneegestöber den Hohen­krähen einhüllte, konnte sie es kaum erwarten, bis endlich die Christnacht da war‘ weniger des Weihnachtswunders wegen, als vielmehr, sich den Schatz aneignen zu können.
Kaum war der Weihnachtsabend gekommen, stieg sie unter irgendeinem Vorwand, zusammen mit ihrem Söhnlein, die steile Burgsteige empor. Und siehe da, als sie sich durch die unterirdischen Gänge der Ruine tastete, stand sie plötzlich vor einem eisernen Tor, das sie, so oft sie auch hier gewesen war, noch nie bemerkt hatte. Mit fiebernden Händen versuchte sie, das geheimnisvolle Tor zu öffnen. Vergebens. Sie mußte bis zur Mitternacht ausharren. Viel zu langsam verrannen ihr da oben in Poppeles Reich die Stunden. Während drunten im Tale in vielen Stuben die Christ­bäume aufflammten und frohe Weihnachtslieder erklangen, kauerte die Bäuerin, an der Hand ihr frierendes Söhnlein, vor dem verriegelten Tor und wartete auf die Mitternachtsstunde. Da endlich erklang drunten im Tal der Schlag einer Uhr. Zag begann eine Glocke zu läuten und weckte mit ihrem silbernen Klang im weiten Land die Stimmen vieler Schwestern, die sich zu einem weihnachtlichen Jubelchor vereinten. Die Bäuerin aber dachte an nichts anderes, als an das Gold und Silber, das hinter dem verschlossenen Tor liegen mußte. Als sie im Finstern abermals nach der Eisentür tasten wollte, griff sie plötzlich ins Leere. Lautlos hatte sich das Tor geöffnet. Aus der Tiefe drangen Moderduft und ein geheimnisvolles Leuchten. Unverzüglich stieg die Frau die Treppen hinunter in ein Gewölbe, in dem uralte, mit Eisen beschlagene Truhen standen. In der ersten lag gemünztes Silber, in der zweiten funkelnde Gold­dukaten, in einer anderen glänzten Rubinen, dort erstrahlten Smaragde, und in einer offenen Lade leuchteten Saphire und haselnußgroße Diamanten. Voll Gier stürzte sich die Frau zuerst auf Silber und Gold und füllte sich damit die Schürze. Dann aber schüttete sie das Eingesammelte wieder weg, um Wertvolleres in den groben Zwillich zu füllen. Als ihre Schürze bereits unter der schweren Last zu zerreißen drohte, eilte sie die Treppe hinauf, um das Erraffte in Sicherheit zu bringen und nochmals in das Verließ hinunterzusteigen. Kaum aber war sie oben angelangt, ver­stummte drunten im Tal das Glockengeläute und mit Donnergepolter fiel das Eisen­tor ins Schloß. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, die Tür nochmals zu öffnen, raffte sie ihre Schätze zusammen und rannte, so schnell sie die Füße trugen, aus dem Reiche des Poppele hinunter ins Dorf.
Noch saß man auf dem Hof mit ein paar Nachbarn fröhlich beisammen. Kaum hatte die Bäuerin die Stube betreten, wollte jeder wissen, was sie denn in der Heiligen Nacht getrieben habe. Der Vater aber fragte besorgt, wo denn der kleine Michel, ihr Sohn geblieben sei. Jetzt erst bemerkte die Bäuerin mit Schrecken, daß sie ihr Kind, das ihr in die Schatzkammer nachgelaufen war, dort oben vergessen hatte, und unter Tränen gestand sie dies ihrem Mann. Aber da half kein Weinen und Wehklagen. Die Frau mußte wohl oder übel warten, bis in der nächsten Christnacht sich das Tor abermals öffnen würde. Nach einem Jahr voller Hangen und Bangen und quälen­der Sorge stand endlich die Bäuerin wiederum vor dem verschlossenen Tor droben auf dem Krähen. Wieder konnte sie es kaum erwarten, bis mit dem Glockenschlag 12 sich das Tor öffnete. Diesmal haftete ihr Blick nicht auf den mit Schätzen gefällten Truhen, sie suchte etwas wertvolleres: ihr Kind. Endlich fand sie es hinter einem Haufen von Goldstücken, mit denen es sorglos spielte. Mit einem Aufschrei riß die Mutter ihr Kind empor, barg es am Herzen und trug es aus dem Gewölbe, ehe das Tor wieder zuschlug.
Nun mußte der Knabe erzählen, wie es ihm ergangen war. Er berichtete, daß er keine Not gehabt habe und es ihm auch nie langweilig gewesen sei. Er habe mit den Juwelen und dem Gold gespielt, und manchmal seien auch hohe Herren, darunter wohl der Burggeist Poppele, zu ihm in die Schatzkammer gekommen und hätten dort nach Herzenslust nächtelang gekegelt. Allerdings hätten sie sich manchmal auch des Gewinnes wegen weidlich verprügelt.
Drunten im Dorf und noch mehr auf dem Bauernhof war die Freude über den wiedergefundenen Knaben groß, zumal dessen Taschen mit Gold und Silber voll­gestopft waren. Nun hatte alle Not ein End, und die Bauersleute lebten fortan glücklich und zufrieden.
Erzählt hat die Geschichte das redselige und leichtgläubige Weib des Küfers, und die mußte es ja schließlich genau wissen.
(Hanns Bächtold, nach der Aufzeichnung von Isidor Keller)

Poppele und die Nonne

Es war schon spät am Abend, als es in dem Kloster, das früher am Hardwäldchen westlich von Beuren stand, heftig an der Pforte schellte. Ein Fremder war’s, der bat, Schwester Luitgard möge doch noch heute abend zu einem schwer erkrankten Manne kommen, der nach geistigem Trost verlange. Trotz des dichten Nebels, der aus dem Tann kroch und das Klösterlein umlagerte, machte sich die Nonne alsbald auf den Weg, um dem Todkranken den Wunsch zu erfüllen. Immer dichter und dichter wurde der Nebel, so daß sie kaum noch den Weg erkennen konnte. Als sich endlich schattenhaft die Umrisse eines Bierkellers aus den weißen Schleiern schälten, stand plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, ein großer Mann, der mager wie ein Toten­gerippe war, neben der Nonne, hob die Hand und sagte mit hohler Stimme „Ganget nur heim, ihr findet ihn nit“. Noch einmal hob das Gespenst die Knochenhand, dann war es im Nebel zergangen.
Der Schwester, die in dem Warner den Poppele erkannte, bebten vor Angst die Knie. Sie wagte nicht mehr, zu dem noch weit entfernten Hof zu wandern, sondern kehrte unverzüglich um.
Nach einer schlaflosen Nacht wurde sie zu früher Morgenstunde wieder an die Klosterpforte gerufen. Ein Bauer erzählte erregt, seinen Nachbar, zu dem die Nonne gerufen worden war, habe man heute in aller Herrgottsfrühe tot in seinem Bette gefunden.

(Mündlich Feuerstein, Beuren a. d. Auch)

Der beschenkte Bauer

Mitten in der Nacht klopfte es bei dem Benedikt, einem armen Bauersmann, der unterhalb des Krähen wohnte, ans Fenster. Der Benedikt war über die nächtliche Störung nicht gerade erfreut und fragte ein wenig brummig nach dem Begehr des Fremden. Als dieser aber den Bauern bat, ihm doch den Weg zum Schlosse Hohen­krähen zu zeigen, kam der Bauer trotz der späten Stunde bereitwillig dem Wunsche des Fremden nach. In der darauffolgenden Nacht wurde der Benedikt wiederum ge­weckt, und abermals mußte er den Fremden zum Schlosse hinaufbegleiten. Und so geschah es noch in weiteren neun Nächten. Jedesmal versprach der Fremde, den Bauern am nächsten Morgen zu entlohnen, ohne daß er sein Wort gehalten hätte. Als der unheimliche Bittsteller in der zwölften Nacht abermals den Bauern weckte, stand dieser wiederum ohne Murren auf und begleitete den Fremden. Dieser war wortkarg wie immer. Als die beiden aber an der Stelle der Burg angekommen waren, wo der Bauer sonst immer umkehren mußte, zeigte der seltsame Wanderer dem Benedikt hinter einem Mauervorsprung ein Häuflein blanker Silbertaler und be­deutete ihm, daß der Schatz ihm gehöre. Der Bauer, der sich nicht zweimal heißen ließ, bedankte sich gar höflich bei seinem Begleiter für den reichlichen Lohn. Aber da war der Fremde spurlos verschwunden. Nun wußte der Bauer, daß er in allen zwölf Nächten ein Gespenst, nämlich den Mäggili, begleitet hatte.
Noch lange erzählten sich die Dorfältesten diese Geschichte, die sich um das Jahr 1700 zugetragen hatte.
(Hanns Bächtold)

Poppele und der Wurmlinger Fuhrmann

Fuhr da einmal der Urahn des Wurmlinger Waldschützen mit einem Wagen voll herrlicher Apfel und Birnen nach Mühlhausen am Hohenkrähen. Poppele, der es auf Fuhrleute besonders abgesehen hatte, konnte es sich nicht verkneifen, sich auf den Wagen zu setzen und sich so bequem durch das Land fahren zu lassen. Anstatt aber dem Fuhrmann zu danken, machte er hinterrücks am Wagen die Sperrkette los, so daß sie auf die Straße fiel. Als das Gefährt noch eine Weile weitergerollt war, wurde der Fuhrmann plötzlich von hinten her mit heller Stimme angerufen „Jörgle, Jörgle, du hast die Sperrkette verloren!“ Der Wurmlinger lief eilends zurück, und richtig, die Kette, die da im Straßenstaub lag, war die seine. Da drohte der Fuhrmann scherzend dem Poppele, der ihm die Kette losgebunden hatte „Du Schlingel, ich hätte sie nit verloren, wenn du sie hättest hängen lassen!“
Da lachte der Poppele, sprang vom Wagen herunter und lief den Hohenkrähen hinauf.

(Tuttlinger Heimatblätter 1958, Josef Zepf)